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Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin

Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin

Titel: Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Belkowski
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ideologischen Vorstellungen zu diesem Thema hatte er zusammen mit der Vorzugsmilch aus dem Spezialverteiler des ZK der Kommunistischen Partei eingesogen. Jelzin meinte, dass der Westen ihm verpflichtet sei, weil er die Hydra des Kommunismus höchstpersönlich zu Fall gebracht hatte. (In Wirklichkeit hatten sich die Köpfe der Hydra gemäß des Belkowski-Gesetzes, wonach in der Geschichte immer zur rechten Zeit das geschieht, was geschehen muss, vor Schreck gegenseitig aufgefressen. Aber Jelzin war nicht in der Lage, in derartigen Kategorien und so tiefschürfend zu denken. Immerhin war er früher Bauleiter gewesen und es geblieben, wenn auch in besonders großen Maßstäben.)
    Jelzin hatte es fertiggebracht, das gesamte Kernwaffenarsenal der UdSSR in die Hände und unter Kontrolle des so gut wie demokratischen Russlands zu bringen, damit sie nicht an die schwer einschätzbaren kleinen Zaren fielen, deren Quasistaaten gerade mal den Windeln der historischen Nichtexistenz entschlüpft waren. Schließlich hatte der erste russische Präsident, indem er nicht nur seinen Ruf – dieses Wort war ihm schon immer recht schwülstig vorgekommen –, sondern auch seine Gesundheit aufs Spiel setzte, den Westen vor einer Revanche der stumpfsinnigen Menge unter der Führung aller möglicher Wahnsinniger bewahrt.
    Jelzin erinnerte sich noch zu gut daran, wie am 19. und 20. August 1991 die führenden Demokratien der Welt, einschließlich der neu hinzugekommenen wie Tschechien und Ungarn, eine nach der anderen eilig die Legitimität des Staatlichen Komitees für außergewöhnliche Zwischenfälle der UdSSR anerkannten, weil sie grauenvolle Angst vor der immer noch zappelnden Supermacht hatten. Wie er sich selbst und der Menge überlassen gewesen war, die sein Weißes Haus, in dem damals die gesamte Macht Jelzins residierte, mit einer Menschenkette umringte. Was wäre denn gewesen, wenn der erste russische Präsident nicht auf den Panzer geklettert und seine Erlasse verkündet hätte, die alle Entscheidungen des Komitees für außergewöhnliche Zwischenfälle aufhoben?
    Man hätte uns alle in Staub und Asche getreten. Uns – also auch mich, den 20-jährigen Systemprogrammierer, denn auch ich stand in jenen Tagen aufs Äußerste entsetzt am Weißen Haus. Und mich beherrschten dieselben Gefühle wie heute den Giganten Putin, der über ein Siebtel der Erde und einige anliegende Gewässer herrscht: Man kann weder gehen noch bleiben. So bizarr und eigentümlich sind manchmal die Koinzidenzen in der Geschichte zwischen den ganz Kleinen und den ganz Großen.
    Nein, es war Jelzin, der die Sowjetunion zu Grabe getragen hat, wobei er in vielen Dingen gegen den Westen handelte, wenn auch in seinem Interesse. Deswegen hielt Jelzin in seinem Inneren noch eine offene Rechnung parat. Hatte er sich etwa mit Europa und Amerika beratschlagt, als er das Parlament im Oktober 1993 unter Beschuss stellte? Oder als er entschied, durch unverschämte Manipulationen 1996 auf dem Präsidentenposten zu bleiben? Oder als er am Terek Krieg führte, um dem im globalen Maßstab unbekannten Putin den Weg auf den Thron zu ebnen, auch wenn der Westen ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er Jewgeni Primakow auf dem Thron lassen sollte? Ja, Primakow war sowjetisch, ja, er war sozialistisch, aber im Gegensatz zu Putin schienen er und seine Motive durchschaubar.
    Jelzin hatte nie jemanden um Rat gefragt, weder im eigenen Land noch außerhalb seiner Grenzen. Der ihm zum Dank verpflichtete Westen sollte alle seine Entscheidungen im Nachhinein akzeptieren. So dachte Jelzin und sprach es von Zeit zu Zeit auch aus. Und wenn wir von imperialen Komplexen reden, dann waren auch sie eher ihm zu eigen, dem Sprössling des Apparats einer Supermacht. Mit der einen Hand zog Jelzin die letzten russischen Streitkräfte aus Wünsdorf ab und zahlte dafür mit dem Gorbatschow-Wechsel. (Wer ist denn schuld? – Der Präsident der UdSSR Michail Gorbatschow ist schuld, so sieht es aus.)
    Doch mit der anderen Hand sandte er 1999 während des Balkankriegs russische Fallschirmjäger nach Priština, ohne jemandem aus seinem Umfeld ein Wort zu sagen. Und Jelzins Ministerpräsident Primakow ließ am Tag des Luftangriffs der NATO-Truppen auf Belgrad (1999) sein Flugzeug über dem Atlantik umkehren, um seinen Amerikabesuch demonstrativ platzen zu lassen – in Abstimmung mit Präsident Jelzin selbstverständlich. Ohne derartige Absprachen unternehmen dinosaurierartige Veteranen wie Primakow

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