Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
nichts, darauf sind ihre Sinnesorgane nicht eingerichtet.
Putin kam mit einem ganz anderen Erscheinungsbild an die Macht, als »normaler Kerl«, der diesen sowjetisch-imperialen Affentanz schon lange satthatte, was ihn mit jenen verband, die ihn an die Macht brachten – die »Familie«, verschiedene Abramowitschs und so weiter. Putin wollte im Namen der regierenden Korporation, die sich in Russland zum 1. Januar 2000 herausgebildet hatte, zur euroatlantischen Welt Folgendes sagen:
Liebe euroatlantische Welt! Lass uns Folgendes vereinbaren. Zum innerstaatlichen Gebrauch und zur Beruhigung meines Volkes (ich kenne meines Volkes Geist, ihm ist des Zaren Leitbild heilig – Puschkin) werde ich erzählen, dass wir eine Art Supermacht sind und uns nach langer Zeit der erzwungenen Erniedrigung, die unter anderem wirtschaftliche Gründe hat, gerade von den Knien erheben. Nach außen jedoch werde ich wie euer Freund und Verbündeter handeln. Und ich will nichts weiter von euch, als dass ihr es mir mit der üblichen Gegenliebe vergeltet, menschlich und politisch. Nein, wir sind für euch zugegebenermaßen keine Konkurrenz mehr. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft: militärisch, wirtschaftlich, territorial und auch menschlich. Aber zollt uns Achtung, und kommt uns dort entgegen, wo wir es tatsächlich nötig haben.
Diese Worte waren nicht nur an die G7-Staaten gerichtet, mit denen er das Kriegsbeil tief und für immer vergraben wollte, sondern auch an ihre Oberhäupter. Zu diesem Zeitpunkt konnte Putin Persönliches noch schwer von Politischem trennen und neigte zu der Überzeugung, dass der Charme seiner Werbung überall im Westen willkommen sei.
Die mir bekannten Journalisten des sogenannten »Präsidenten-Pools« (also der Gruppe, die das Staatsoberhaupt auf seinen offiziellen und seltener auch inoffiziellen Reisen begleitet) haben mir von Putins Auftreten bei dem Gipfeltreffen der APEC in Oakland (Neuseeland) im Jahr 2000 berichtet. Dort traf er mit dem leibhaftigen Bill Clinton zusammen und begriff sofort, dass er hier in einen Kreis von Menschen eingetreten war, denen eine besondere Götterspeise internationaler Beziehungen gereicht wurde, so perfekt wie der Himmel nach einem Gewitter. Er hatte Clinton persönlich begrüßt! Und sogar umarmt! Wahnsinn!
Bald darauf konnte er auf Gipfeltreffen der G8-Staaten ein ähnliches Verhältnis auch mit Jacques Chirac und besonders mit Gerhard Schröder herstellen, wobei Putin und Letzteren die deutsche Sprache verband. (Sein geliebter Silvio Berlusconi tauchte ein wenig später auf.) In Putins Wörterbuch der Diplomatie ging das Wort »Anständigkeit« ein. Nach Berichten von Augenzeugen, denen mit Schulterstücken und denen ohne, maß WWP seine Partner an dieser Kategorie. Er meinte, dass die Vertreter stabiler politischer Systeme und Institutionen, die schon lange ohne einschneidende Katastrophen auskommen, wie es die russischen Revolutionen und Perestroikas gewesen waren, die so gut riechen und erlesene Krawatten tragen, dass diese Vertreter Anständigkeit wie ein Gebot achten, weil sie über ein entsprechendes Gen verfügen. Die Geschichte zeigte dann, wie rührend Putins Irrtum war. Er war schon immer rührend gewesen, unser Held, und bewahrt sich diese Fähigkeit bis heute.
2000/2001 versenkte Russland die Raumfahrtstation Mir und schloss die Radaraufklärungsstationen auf Kuba und in Vietnam. Jelzin hatte sich nicht dazu entschließen können, und das nicht nur aufgrund seines Legitimitätsmangels im eigenen Lande.
Am 11. September 2001 war Putin der Erste (!), der den USA und Präsident Bush Junior sein Beileid hinsichtlich der Tragödie ausdrückte und seine Hilfe anbot. Als die USA beschlossen, dass an allem die afghanischen Taliban schuld seien (was bis heute nicht bewiesen ist!), die Osama bin Laden und El Kaida in Höhlen versteckten, öffnete Russland den Amerikanern voll und ganz den Korridor nach Afghanistan.
Es hatte den Anschein, als könne Putin mit seinen westlichen Kollegen eine gemeinsame und allgemein gebräuchliche Sprache finden, eine Sprache normaler Interessen, auch wenn die westlichen Politiker qua Geburt, Bildung oder Erziehung cooler waren als er. Daran lag es nicht. Die Politik, besonders die internationale Politik, zwingt einen manchmal, das Wort »Anständigkeit« zu vergessen.
Der erste Riss entstand 2003. Putin konnte drei Dinge beim besten Willen nicht verstehen:
• warum der Irak unbedingt Prügel beziehen musste, wenn es keinerlei
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