Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
das halb geöffnete Fenster des Mercedes gefeuert, in dem Jamadajew in Begleitung von Sergei Kisjun unterwegs war. Generaloberst der Hauptabteilung Aufklärung Kisjun war früher Kriegskommandant von Tschetschenien und hatte die Schaffung der Bataillone Wostok, Sapad und Jug ermöglicht. Bemerkenswert ist, dass Ruslan Jamadajew und Herr Kisjun nicht von irgendwoher kamen, sondern aus dem Kreml. Dort hatten sie sich mit dem stellvertretenden Leiter der Präsidentenadministration für Innenpolitik Wladislaw Surkow getroffen. Einer der Theorien zufolge wurde über eine Begrenzung der sich auswachsenden Macht und der politischen Ambitionen von Ramsan Kadyrow gesprochen. Surkow, der aus seiner tschetschenischen Herkunft keinen Hehl machte (und sie sogar manchmal herausfordernd betonte), zeigt gegenüber dem Oberhaupt Tschetscheniens immer eine besondere Loyalität. Es ist nicht auszuschließen, dass der föderale Beamte den Inhalt dieses geheimen Gesprächs an Kadyrow weitergegeben hat. Auch danach kreuzten sich die Wege von Wladislaw Surkow und Ramsan Kadyrow noch öfter. Quellen aus dem Kreml behaupten, es sei Kadyrow gewesen, der Surkows Ernennung zum Assistenten des russischen Präsidenten für Kontakte mit den GUS-Staaten sowie mit den halb anerkannten Staaten Abchasien und Südossetien (September 2013) bewirkt habe, nachdem er bei Putin in Ungnade gefallen und aus den einflussreichen Strukturen entfernt worden war.
• Im April 2010 berichteten die russischen Massenmedien, Issa Jamadajew habe Aussagen gemacht, in denen er Ramsan Kadyrow der Organisation eines Mordversuchs gegen ihn (29. Juni 2009) sowie des Mordes an seinen Brüdern Sulim (ehemaliger Kommandeur des Bataillons Wostok) und Ruslan (ehemaliger Abgeordneter der Staatsduma) bezichtigte. Die mit Kadyrow verfeindeten Brüder Jamadajew, die sich im Zweiten Tschetschenien-Krieg auf Seiten der föderalen Streitkräfte hervorgetan hatten, waren die letzte große Kraft in der Republik geblieben, die sich gegen Kadyrow zur Wehr setzte.
Der verfassungsmäßige russische Präsident Putin, unter dessen strengem Blick sich Berge verneigen und Flussläufe verbiegen, wagt es nicht, auch nur ein Wort gegen Ramsan Kadyrow zu sagen. Nur der Generalbevollmächtigte des Präsidenten im Föderationskreis Nordkaukasus Alexander Chloponin wagte es Anfang 2010, kaum dass er diesen Posten eingenommen hatte, von Tschetschenien-Führer Kadyrow frech Rechenschaft über die Verwendung föderaler Mittel zu verlangen. Aber durch einen seltsamen Zufall kam es am 29. März 2010 zu den Explosionen in den Moskauer Metrostationen Lubjanka (ganz in der Nähe des allmächtigen FSB) und Park kultury. Seither interessiert sich der Generalbevollmächtigte des Kremls nicht mehr sonderlich für die finanziellen Flüsse zwischen Russland und Tschetschenien.
All diese Tatsachen kann man unmöglich mit Putins Wunsch erklären, dem Westen sein Verantwortungsgefühl für das Schicksal dieser kleinen Region Russlands zu demonstrieren. Die neuere Geschichte Tschetscheniens begann im Mai 2004 – am Todestag von Achmat-Hāddsch, der bei dem Bombenanschlag in einem Stadion in Grosny getötet wurde. Tschetschenien tat so, als habe Russland den Krieg gewonnen, ohne allerdings zu präzisieren, gegen wen. Als habe Russland einfach gewonnen und fertig, gegen »eine nicht identifizierte Person«, wie es in der UdSSR in den Milizprotokollen bei Festnahmen von Menschen hieß, die aus Dummheit bei eigens ausgesandten KGB-Provokateuren verbotene Westvaluta gekauft hatten. Dafür wurden die Tschetschenen zu einer privilegierten Ethnie innerhalb Russlands. In der Mehrheit der Regionen ist die tschetschenische Diaspora ein eigenständiges Zentrum, das in seiner Mächtigkeit viele andere übertrifft.
Wladimir Putin betrachtet Ramsan Kadyrow immer häufiger als eine Art Schiedsrichter, der bereit und informell berechtigt ist, größere Wirtschaftskonflikte zu lösen. Dabei geht es keineswegs immer um Konflikte, in die Tschetschenen oder Kaukasier involviert sind.
Wie es sich der unterlegenen Kriegspartei geziemt, zahlt Russland dem Sieger Tschetschenien Tribut aus dem föderalen Haushalt: fast 2 Milliarden Dollar pro Jahr, das sind 48 000 Rubel pro Kopf. (Zum Vergleich: Die Region Stawropol erhält 6 000 Rubel pro Einwohner.) Aber das ist noch gar nichts. Im Frühjahr 2011 erklärte der Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Handel der Tschetschenischen Republik Abdulla Magomadow, dass seine Republik für die
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