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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Mary, ihn durch das Hochziehen einer Augenbraue zum Lächeln zu bringen. Sie fand seine Haltung kindisch. Das sagte sie auch Thomas und kümmerte sich den Rest des Nachmittags um Lisa, denn sie wusste, dass der Tag für sie verdorben war. Auf dem Rückweg hatte die Stimmung nichts mit der des Festes gemein, das gerade zu Ende gegangen war.
    Sobald sie zu Hause waren, ging Philip in sein Arbeitszimmer und schloss sich ein. Die Stimmung war gedrückt. Mary aß mit den Kindern zu Abend, und nachdem sie die beiden ins Bett gebracht hatte, legte sie sich allein schlafen, zog die Decke über die Schultern und seufzte tief. Als sie morgens aufwachte, war das Bett neben ihr leer. Auf dem Küchentisch fand sie eine Nachricht, die ihr mitteilte, er sei ins Büro gegangen und komme erst spät abends zurück, sie sollten nicht auf ihn warten.
    Sie machte Frühstück und bereitete sich auf ein schwieriges Wochenende vor. Nachmittags ging sie einkaufen und ließ die Kinder allein vor dem Fernseher zurück.
    Im Supermarkt überkam sie ein Gefühl der Einsamkeit, gegen das sie energisch ankämpfte, indem sie rasch die Bilanz ihres Lebens zog: Ihre Lieben waren bei guter Gesundheit, sie hatte ein Dach über dem Kopf, einen Mann, der fast nie zornig wurde, also kein Grund, sich in eine dieser verdammten Sonntagsdepressionen ziehen zu lassen.
    Als eine alte Dame an ihr vorbeikam und sie fragte, was sie suche, wurde ihr bewusst, dass sie Selbstgespräche führte. Lächelnd antwortete Mary ihr: »Zutaten für Pfannkuchen.« Sie schob ihren Einkaufswagen zu dem Regal, wo Zucker und Mehl standen. Gegen achtzehn Uhr kam sie schwer beladen nach Hause, denn wie so oft hatte sie versucht, ihren Kummer durch Einkäufe zu lindern. Nachdem sie die Tüten auf dem Küchentisch abgestellt hatte, ging sie zu Thomas, der im Wohnzimmer spielte:
    »Wart ihr brav?«
    Der Junge nickte. Mary begann, die Einkäufe auszupacken. »Ist Lisa in ihrem Zimmer?«, fragte sie.
    In sein Spiel vertieft, antwortete ihr Thomas nicht.
    »Falls du es nicht bemerkt haben solltest, ich habe dich etwas gefragt.«
    »Aber nein, sie ist doch bei dir!«
    »Wie, sie ist bei mir?«
    «Vor zwei Stunden ist sie weggegangen und hat gesagt: Ich hole Mum ab!«
    Mary ließ das Obst fallen, das sie in der Hand hielt, fasste ihren Sohn bei den Schultern und schüttelte ihn.
    »Wie hat sie das gesagt?«
    »Du tust mir weh, Mum! So wie ich es gesagt habe. Sie ist einfach rausgegangen und hat gesagt, sie geht zu dir.«
    Marys Stimme verriet ihre Unruhe. Sie ließ den Jungen los.
    »Hatte sie eine Tasche bei sich?«
    »Das weiß ich wirklich nicht. Was ist denn, Mum?«
    »Spiel weiter, ich komme gleich wieder.«
    Sie eilte die Treppe hinauf, ging in Lisas Zimmer und suchte den Spardosen-Hasen, der normalerweise auf dem weißen Regal saß. Er lag leer auf dem Schreibtisch. Mary biss sich auf die Unterlippe, lief ins Schlafzimmer, griff zum Telefon und rief Philip an, der sich nicht meldete. Dann fiel ihr ein, dass ja Wochenende war, und sie versuchte es mit seiner Durchwahl; nach dem vierten Klingeln hob er ab.
    »Du musst sofort nach Hause kommen, Lisa ist ausgerissen, ich rufe die Polizei an.«
    Philip parkte hinter dem Polizeiwagen von Montclair. Er hastete die Straße entlang. Im Wohnzimmer saß Mary auf dem Sofa, ihr gegenüber der Polizeibeamte Miller, der sich Notizen machte.
    Er fragte, ob er der Vater der Kleinen sei. Philip sah Mary an und nickte. Der Beamte bat ihn, sich zu ihnen zu setzen.
    Zehn lange Minuten befragte er sie dazu, was ihrer Meinung nach der Grund für dieses Ausreißen gewesen sein könnte. Hatte sie einen Freund, hatte sie sich vor kurzem von ihm getrennt, hatte es Verhaltensweisen gegeben, die auf eine solche Reaktion hindeuten könnten?
    Philip sprang wütend auf. Man würde seine Tochter nicht durch ein Frage-und-Antwort-Spiel wiederfinden, sie hatte sich nicht im Wohnzimmer versteckt, und er hatte genug Zeit verloren. Er verkündete, dass zumindest einer sie suchen würde, und schlug die Tür hinter sich zu. Der Polizist war irritiert. Mary erklärte ihm Lisas speziellen Fall und vertraute ihm an, dass Lisa und ihr Mann gestern einen Streit gehabt hatten, der erste, seit das Kind bei ihnen lebte. Was sie im Wagen zu Lisa gesagt hatte, erwähnte sie allerdings nicht. Sie hatte sie beruhigen wollen, doch jetzt fürchtete sie, Lisa damit zum Ausreißen angestiftet zu haben.
    Der Polizeibeamte steckte sein Notizheft ein, verabschiedete sich und schlug Mary vor,

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