Wo bist du
Morgenkälte. Die Stimmen der Kinder näherten sich auf der Treppe, sie rief, sie würde im Auto auf sie warten und sie sollten sich beeilen, sonst kämen sie zu spät. Philip trat zu ihr und streichelte ihren Nacken.
»Vielleicht zeige ich es dir nicht auf die Art, wie du es dir wünschst, aber ich liebe dich wirklich, Mary.«
»Bitte, nicht jetzt, nicht vor den Kindern, es ist noch zu früh, um Pfannkuchen zu backen.«
Er küsste sie auf den Mund. Oben auf der Treppe grölte Thomas: »Die Verliebten, die Verliebten, die Verliebten!« Lisa versetzte ihm einen Stoß mit der Schulter und erklärte in einem Ton, der autoritär und arrogant klingen sollte: »Versprich mir, Thomas, dass du eines Tages die Schwierigkeiten deiner sieben Jahre überwinden und nicht dein ganzes Leben lang so kindisch bleiben wirst!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie nach unten. Im Hinausgehen nahm sie Mary die Schlüssel aus der Hand und rief von der Straße her: »Ich warte im Auto auf euch«, verzog das Gesicht und fügte leise hinzu: »Die Verliebten!« Mary kam zum Wagen, legte die kleine Reisetasche in den Kofferraum und setzte sich ans Steuer.
»Verreist du?«, fragte Thomas.
»Ich fahre ein paar Tage mit meiner Schwester nach Los Angeles, Dad wird sich um euch kümmern.«
Mary stellte den Wagen im Parkhaus ab und nahm den Verbindungsgang, der zum Terminal führte. Er war gerade renoviert worden, und die Farbe glänzte noch feucht. Ihr Flugzeug startete erst in drei Stunden, und die Abfertigung hatte noch nicht begonnen. Deshalb ging sie in die Bar und setzte sich auf einen Hocker an der Theke. Ein Barkeeper mit spanischem Akzent brachte ihr einen
Milchkaffee. Während sie ihn langsam trank, ließ sie Bilder aus der Vergangenheit an sich vorüberziehen: die zufällige Begegnung im Halbdunkel eines Kinos, die unerwarteten ersten Worte auf der Straße, die köstliche Verwirrung, die eigenartigen Gefühle, der ersehnte Austausch von Telefonnummern. Das bange Warten, das die Hoffnung ins Wanken bringt, Kleinigkeiten, die an den erinnern, den man noch nicht kennt, das Herzklopfen beim ersten Anruf, der den nächsten Tag so sehr verändert, dann die erneute Stille und die Zeit, die viel zu langsam vergeht. Der unvergessliche Blick an Silvester inmitten des Gedränges auf dem Times Square, eine Haustür, die sich in der eisigen Morgenluft auf eine verlassene Straße in SoHo öffnet, und das erneute Warten. Die aufkommende Vertrautheit während der Abende im Fanelli's, die alte Holztreppe, deren Stufen immer höher zu werden scheinen, nachdem er um die Straßenecke verschwunden ist, die Stunden, in denen man auf das Telefon starrt. Und inmitten all dieser Bilder die Erinnerungen an die ersten Male: der Strauß roter Rosen auf der Fußmatte, die scheuen, noch so unbeholfenen Umarmungen, die Nacht, in der man ständig aufwacht aus Angst, den anderen zu stören, der Körper, der nicht die richtige Schlafposition findet, der Arm, mit dem man nicht mehr weiß, wohin.
Und dann, als ihr klar wurde, dass diese Verbundenheit einen ungeahnten Stellenwert im Leben einnehmen würde, die ersten Ängste: dass der andere eines Morgens gehen, dass er nicht mehr anrufen könnte, die Angst bei dem Gedanken, dass Liebe selbst für die Widerspenstigsten Abhängigkeit bedeutet. Die Augenblicke, die eine beginnende Partnerschaft ausmachen: die gemeinsamen Mittagessen, die ersten Wochenenden, die Sonntagabende, an denen der andere bleibt, bereit, die Gewohnheiten des Junggesellenlebens aufzugeben, die unsinnigen Herausforderungen, die lauernden Blicke, wenn man Pläne schmiedet und auf ein zustimmendes Lächeln hofft. Das Leben zu zweit, das sich entwickelt wie eine lang ersehnte Befreiung. Sie sah ihn wieder in der Kirche in jener Festtagskleidung, die die Einmaligkeit des Augenblicks unterstreicht - warum hatten sie nicht in legerer Kleidung geheiratet, denn so hatten sie eigentlich ihre Verbindung eingehen wollen. Und diese Verbindung bestand eindeutig, als er mit ihr nach Montclair gefahren war, um das Haus zu besichtigen, in dem sie jetzt wohnten. Im Badezimmer hatte ein kleiner Teststreifen seine Farbe verändert und damit auch ihr ganzes Leben, Licht und Gerüche eines Nachmittags, an dem das künftige Kinderzimmer für das Baby gestrichen wurde, das in ihrem Leib heran-wuchs. Sein Blick, der sich manchmal in einer Vergangenheit verlor, zu der sie keinen Zugang hatte, die Liebe, die sie ihm geben wollte, um ihn an sich zu binden. Als der
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