Wo bist du
hatte den Raum betreten. Er begrüßte Lisa und drehte seinen Stuhl zu dem großen Bildschirm in der Mitte der Wand um.
»Wir werden per Satellit die Bilder empfangen, die die US Air Force aufgenommen hat. Wenn du sie nicht sehen möchtest, kannst du rausgehen.«
»Ich will bleiben!«
Die Stimme des Piloten erklang im Raum.
»US Air Force neun acht fünf an die Zentrale des NHC.«
»Wir hören Sie, UAF neun acht fünf«, sagte Hebert in das Mikrofon, das vor ihm stand.
»Wir haben das Zentrum des Auges überflogen, der Durchmesser beträgt etwa dreißigtausend Meter, wir werden Ihnen jetzt die Fotos übermitteln.«
Der Bildschirm erhellte sich, und die ersten Aufnahmen erschienen. Lisa hielt den Atem an. Das Mädchen, das dieses Monster auf der Erde so sehr fürchtete, sah es jetzt zum ersten Mal in seinem Leben von oben. Es wirbelte majestätisch und mit herausfordernder Kraft, und die eindrucksvolle weiße Schleppe wand sich um das Auge. Aus dem Lautsprecher konnte man den Atem des Bordkommandanten hören. Lisas Hände klammerten sich um die Armlehnen ihres Stuhls. Mary kam mit einer Tasse heißer Schokolade herein. Ihre Augen weiteten sich. Sie war tief beeindruckt von dem, was sie sah.
»Mein Gott«, sagte sie leise.
»Was Sie hier sehen, ist eher der Teufel«, antwortete Hebert. Lisa stürzte auf ihn zu und griff nach seinem Handgelenk. Mary lief zu ihr und versuchte, sie zu beruhigen.
»Werden Sie ihn zerstören?«, schrie sie.
»Dazu sind wir nicht in der Lage.«
»Aber warum werfen die Flugzeuge keine Bombe über seinem Auge ab, er muss explodieren, solange er noch über dem Meer ist!«
Er machte sich frei und fasste sie bei den Schultern.
»Das würde nichts nützen, Lisa, wir haben nicht die Macht, ihn aufzuhalten. Irgendwann werden wir es können, das verspreche ich dir, dafür arbeiten wir hier ohne Unterlass. Ich leite dieses Zentrum seit fünfunddreißig Jahren und habe mein ganzes Leben lang daran gearbeitet, diese Killer zu jagen. Wir haben in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht. Jetzt musst du dich beruhigen, ich brauche dich, und damit du effizient arbeiten kannst, musst du die Nerven behalten. Du wirst mir helfen. Wir werden alle Länder warnen, denen er sich nähern könnte, und zwar so rechtzeitig, dass alle Menschen Schutzräume erreichen können.«
Der Pilot teilte mit, er würde näher zum Auge hinuntergehen. Hebert ließ Lisa an seiner Seite Platz nehmen und griff wieder zum Mikrofon. »Seien Sie vorsichtig.«
Die Bilder waren oft verwackelt und wurden doch immer eindrucksvoller. Die Bordkameras filmten das unglaubliche Spektakel der kreisenden Wolken von fast fünfunddreißig Kilometer Durchmesser, die sich mehrere hundert Meter hoch auftürmten. Einige Minuten später wurde die Stille unterbrochen, das Flugzeug kündigte seine Rückkehr zur Basis an. Gleichzeitig erlosch der Bildschirm. Es war elf Uhr vormittags. Sam brachte eine Reihe neuer Daten, die Hebert sofort las. Er legte das Blatt weg und ergriff Lisas Hand, und mit der anderen schaltete er das Mikrofon ein.
»Hier spricht der Leiter des NHC, dies ist eine Alarmdurchsage. Der Wirbelsturm Marilyn, dessen aktuelle Position vierzehn Grad, zwei Minuten nördlicher Breite und achtundfünfzig Grad, acht Minuten westlicher Länge ist, bewegt sich auf die amerikanischen JungfrauenInseln zu. Am Abend wird er Martinique und Guadeloupe erreichen. Die Evakuierung der Bevölkerung muss sofort in die Wege geleitet werden. Schiffe jeglicher Tonnage, die vor den französischen Antillen kreuzen, müssen auf der Stelle den nächsten Hafen anlaufen. Die Windstärke beträgt im Moment hundertzwanzig Kilometer pro Stunde.«
Er wandte sich an Sam und bat ihn, die Daten mit denen des Teams vom CDO Martinique zu vergleichen. Dann setzte er Lisa ans Mikrofon, verfasste in Großbuchstaben eine Nachricht und zeigte ihr, wie man die Frequenzen ändert, indem man den Knopf weiterdreht. »Lisa, ich möchte, dass du diese Nachricht an alle Frequenzen auf der Liste durchgibst. Wenn du fertig bist, fängst du wieder von vorne an, und so fort. So werden wir ihn daran hindern, Katastrophen anzurichten, und Leben retten. Wenn du müde bist, löst deine Mutter dich ab. Hast du mich verstanden?«
»Ja«, antwortete Lisa mit fester Stimme.
Sie verbrachte den Rest des Tages damit, ohne Pause den Warnaufruf durchzugeben, den man ihr anvertraut hatte. Mary saß neben ihr und schaltete die Frequenzen um, und jedes Mal, wenn Lisa ihre
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