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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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der Brücke über dem Fluß und sah zu, wie Regentropfen so groß wie Gewehrkugeln auf das Wasser prasselten. Ursprünglich wollte ich ein paar Tage durch die südlichen Ardennen wandern, auf den Spuren meiner ersten Reise, doch auf dieses Wetter war ich nicht vorbereitet. Ich war schon jetzt durchnäßt bis auf die Haut und zitterte, als hätte ich vergessen, meine MalariaTabletten zu nehmen. So ging ich nach nur einer Stunde in Dinant zum Bahnhof zurück, setzte mich in den ersten Zug nach Namur und reiste von da aus weiter nach Spa. Einer der Vorteile Belgiens ist, daß man innerhalb von ein, zwei Stunden jede Stadt des Landes erreichen kann. Es dauert eine Weile, bis man sich an den Gedanken gewöhnt hat, daß das ganze Land praktisch ein Vorort von Brüssel ist. Ich fuhr aus keinem besonderen Grund nach Spa. Allerdings hatte ich schon immer vermutet, daß sich hinter einem solchen Namen ein nettes Städtchen verbergen müsse. Und so war es auch. Es gefiel mir sofort, wie es da eingebettet zwischen grünen Bergen lag, mit einem baumreichen Park, dem Parc de Sept Heures, einer prunkvollen Spielbank, die in keinem Verhältnis zur Bescheidenheit des Städtchens stand, und ein paar großen weißen Hotels rund um eine kleine grüne Insel, dem Place Verte. Der Regen hatte aufgehört und in der Stadt eine saubere Frische zurückgelassen, die ein wenig an die Frische von Laken erinnerte, die man noch warm aus dem Wäschetrockner nimmt. Und über allem schwebte ein geradezu unheimlich zeitloser Hauch von Genesung. Halb erwartete ich, braun uniformierte Soldaten mit fehlenden Gliedmaßen zu sehen, die in Rollstühlen durch den Park geschoben wurden.
    Spa ist die Mutter aller Kurorte und war 200 Jahre lang der bevorzugte Tummelplatz der europäischen Königshäuser. Noch bis zum Ersten Weltkrieg ließen sich dort Aristokraten und andere Berühmtheiten verwöhnen. In Spa dankte Kaiser Wilhelm ab, was nicht nur seinen eigenen Niedergang, sondern auch den der Stadt bedeutete. Heute scheint hier kaum noch jemand verwöhnt zu werden, zumindest nicht in dieser Jahreszeit. Ich suchte das Touristen-Informationsbüro im Park auf, sah mir höflich die Auslagen an und fragte den Mann am Schalter, wo sich all die Könige und Königinnen aufhielten.
    »Ach, die kommen nicht mehr«, sagte er und lächelte traurig. »Die kommen schon seit Peter dem Großen nicht mehr.«
    »Warum denn nicht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Wir sind aus der Mode. Heute sind Sonnenschein und Meer gefragt. Meistens sind es wohlhabende Deutsche, die noch zu uns kommen. Wir bieten die verschiedensten Heilverfahren. Wenn Sie Interesse haben …« Er deutete auf ein Sortiment von Prospekten und wandte sich dann dem nächsten Besucher zu.
    Alle Prospekte warben für Kurhäuser mit so nüchternen Namen wie Professor Henrijeans Hydrologieinstitut oder die Abteilung für Radiologie und Gastroenteritis des Spa Thermalinstituts, Die Palette der Heilverfahren reichte von heißen, matschigen Schlammpackungen bis zum Anschluß an ein frei stehendes, elektrisches Umspannwerk und anschließendem Stromschlag mit Todesfolge; so sah es jedenfalls auf dem Foto aus. Diese Behandlungsarten erzielen die verschiedensten Wirkungen, von denen ich nicht wußte, daß sie wünschenswert sind – sie »weiten die dermalen Gefäße«, »beruhigen die wärmeregulierenden Zentren« und »lindern die periartikularen Kontraktionen«, um nur drei zu nennen.
    Mir war sofort klar, daß meine wärmeregulierenden Zentren ruhig genug waren, möglicherweise sogar abgestorben, und daß ich zwar gelegentlich unter periartikularen Kontraktionen leide und vornüber in meine Spaghettis falle, daß ich aber sehr gut damit leben kann, vor allem, nachdem ich mir anhand der Prospekte einen Eindruck von dem verschaffen konnte, was die muskulösen Damen in Weiß in einem solchen Institut mit ihren Patienten anstellen. Ich beschloß also, daß sich derartige Behandlungen in meinem Fall erübrigten, und machte mich auf den Weg zu dem kleinen Hotel, das mir der Mann im Informationsbüro empfohlen hatte. Ich sprang unter die Dusche, aß zu Abend, machte einen Verdauungsspaziergang und begab mich anschließend in eine gesellige, kleine Kneipe an der Rue Royale, wo ich den Abend mit Martin Gilberts ernstem und monumentalem Second World War beschließen wollte. Das Buch eignet sich nicht besonders als Kneipenlektüre, muß ich sagen. Man liest eine Weile darin, und es dauert nicht lange, und man beginnt, sich

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