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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Haltung in Sachen Stadtsanierung erkannt und begonnen habe, bei Neubauten auf ein gewisses architektonisches Niveau zu achten. Die Ergebnisse dieses neuen Bewußtseins sind allerdings bisher alles andere als überwältigend.
    Der einzige Teil der Stadt, der wirklich Charme besitzt, ist ein Labyrinth aus engen, autofreien Gassen hinter dem Grand Place. Mit einiger pathetischer Übertreibung wird er »Heiliges Eiland« genannt. Die kleinen Gassen und Durchgänge sind vollgestopft mit Restaurants. Menschenmassen schieben sich durch die Sträßchen, schnüffeln an den Hummern, Muscheln und Langusten herum, die in Schubkarren voller Eis vor jedem Lokal ausgestellt sind, und stehen vor der schwierigen Aufgabe, sich für ein Restaurant entscheiden zu müssen. Aus jeder Tür strömen aromatische Düfte, und hinter jedem Fenster wimmelt es zu fast jeder Tages-und Nachtzeit von Menschen. Es ist ausgesprochen malerisch und anheimelnd, und das schon seit dem Mittelalter. Aber auch dieses liebenswerte, kleine Viertel wäre in den sechziger Jahren um ein Haar den Planierraupen zum Opfer gefallen. In jedem Land Europas sieht man sich immer wieder mit der Frage konfrontiert, welch eine Krankheit es wohl gewesen sein mag, die Stadtplanem und Architekten in den sechziger und siebziger Jahren den Verstand geraubt hat, aber nirgends sind die Spuren dieser geistigen Verwirrung so deutlich sichtbar wie in Brüssel. Trotz alledem hat die Stadt auch ihre guten Seiten. Sie ist die freundlichste Großstadt Europas (was möglicherweise damit zusammenhängt, daß ein Viertel ihrer Einwohner aus dem Ausland stammt), sie besitzt einige gute Museen, die älteste Einkaufspassage Europas, die kleinen, aber feinen Galeries St Hubert, jede Menge phantastische Bars und die fabelhaftesten Restaurants. Auswärts zu essen ist in Belgien eine Art Nationalsport. Allein in Brüssel gibt es 1500 Restaurants, dreiundzwanzig davon tragen Michelin-Sterne. Für weniger Geld als sonstwo auf diesem Kontinent kann man dort unglaublich gut essen. Ich aß jeden Abend auf dem »Heiligen Eiland«, und zwar jedesmal in einem anderen Restaurant, und jedesmal war es wie ein Höhepunkt der Lust, in kulinarischer Hinsicht. Fast alle Restaurants sind winzig – um einen Tisch in der hintersten Ecke zu erreichen, muß man ungefähr über ein halbes Dutzend Gäste klettern –, und die Tische stehen so dicht beieinander, daß man sein Steak nicht schneiden kann, ohne dabei seinem Nachbarn den Ellbogen ins Gesicht zu stoßen oder mit dem Ärmel durch seine Sauce Béarnaise zu fahren, aber irgendwie ist das Teil des Vergnügens. Man speist praktisch zusammen mit den Leuten am Nachbartisch, teilt sich die Brötchen und scherzt miteinander. Das ist eine erfreuliche Abwechslung für den Alleinreisenden, der sonst für gewöhnlich an den dunkelsten Tisch in unmittelbarer Nachbarschaft der Toiletten gesetzt wird und sich beim Essen die Zeit damit vertreibt, all die vorbeiwandernden Fremden zu beobachten, wie sie ihren Reißverschluß hochziehen oder sich im Vorbeigehen die Hände schütteln. Nach dem Essen machte ich allabendlich einen notgedrungen ziellosen Spaziergang, denn es gab so gut wie nichts, das ich mir zum Ziel hätte setzen können. Wie so viele Städte wirkt auch Brüssel bei Nacht um einiges freundlicher. Einmal schlenderte ich zum wuchtigen Palais de Justice, der auf einer kleinen Anhöhe mit Blick über die Altstadt thront und aussieht wie ein amerikanisches Kapitol nach der Einnahme von Wachstumshormonen. Der Palast ist einfach gewaltig – er bedeckt eine Fläche von über 28000 Quadratmetern und war im neunzehnten Jahrhundert das größte Gebäude der Welt. Doch seine massige Gestalt ist auch schon das einzig Bemerkenswerte an ihm. An einem anderen Abend spazierte ich zum Hauptsitz der EG. In einer Stadt, in der es von Gebäuden wimmelt, die so häßlich sind, daß es einem den Atem verschlägt, hat es das Hauptquartier der EG am Rond Point Schuman geschafft, aus dem Rahmen zu fallen. Es war erst sechs Uhr, doch kein Mensch war zu sehen. Nicht eine Seele machte Überstunden, was mich an einen alten Witz erinnerte: Frage: Wieviele Leute arbeiten in der Europäischen Kommission? Antwort: Ein Drittel von ihnen. Bei einem Blick auf all diese langen Fensterreihen drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf, was um Himmels willen da drinnen vor sich geht. Vermutlich sind ganze Flügel mit Leuten besetzt, die sich darum kümmern, daß die Warteschlangen vor den

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