Wo bitte geht's nach Domodossola
sehnsüchtig nach einem Gesprächspartner umzusehen.
Aber in Wallonien spricht kaum jemand Englisch. Ich begann zu bedauern, daß ich nicht genug Französisch verstand, um die Gespräche am Nachbartisch belauschen zu können. In der Schule hatte ich drei Jahre Französisch, habe aber so gut wie nichts dabei gelernt. Das lag vor allen Dingen an den erstaunlich unbrauchbaren Lehrbüchern. Sie waren grundsätzlich von jemandem verfaßt worden, der eindeutig in keinerlei Verbindung zur frankophilen Welt stand – von Prof. Marvis Frisbee vom Highway-68State-Teachers-College in Windsock, North Dakota, beispielsweise –, und hatten nicht den geringsten Bezug zum wirklichen Leben. Die alltäglichen Dinge, mit denen man sich in Frankreich würde auseinandersetzen müssen, wie die Handhabung eines Bidets oder der Umgang mit grimmigen Klofrauen und skrupellosen Vordränglern in Warteschlangen, kamen überhaupt nicht zur Sprache. Die Bücher beschäftigten sich ausschließlich mit dem langweiligen Alltag im Klassenzimmer und lehrten uns, wie man seinen Mantel an die Garderobe hängt, wie man für den Lehrer die Tafel wischt, wie man Fenster öffnet und Fenster schließt, wie man seine Hausaufgaben erledigt. Schon in der siebten Klasse ahnte ich, daß Dinge dieser Art in meinem zukünftigen Leben nur von begrenztem Nutzen sein würden. Wie oft würde man während einer Frankreichreise jemandem erklären müssen, daß man eine Tafel wischen will? Wie oft würde man sagen wollen »Es ist Winter. Bald wird es Frühling sein.«?
Meine Erfahrung hat gezeigt, daß die Leute das im allgemeinen selbst wissen.
Ich verstehe bis heute nicht, warum sie die Lehrbücher nicht den Interessen von Heranwachsenden anpassen konnten und uns Kapitel zu Themen wie »Gerard et Isabelle beschäftigen sich dans Petting« oder »Claude a son Premier Feuchten Traum. C’est Magnifique!« vorgelegt haben. Zumindest hätten sie uns doch die Sprache in Form von Comic-Heften näherbringen können.
Als ich erwachte, goß es in Strömen. Spritzend zischten die Autos über die halb überschwemmten Straßen. Ich ging zur Bank, um einen Reisescheck einzulösen. Danach sah ich mir die Schaufenster an der Place Verte an und suchte Schutz unter den Markisen, auf die stetig und irgendwie beruhigend der Regen trommelte. Jeder Laden war gefüllt mit den verlockendsten Köstlichkeiten – La Raclette Fromagerie mit Käse so groß wie Autoreifen; die Boucherie Wagener mit zu Ringen gebundenen Würsten und rosa Bergen aus Scheiben von geräuchertem Ardennenschinken im Fenster; La Gâterie, deren Fenster ein Traum aus Marzipanfrüchten, kunstvollen Sahnetorten und anderen schaumigen Leckereien war. Wie raffiniert sie auf dem Kontinent ihre Schaufenster gestalten! Selbst die Fenster der Drogerien waren so sauber und ordentlich und liebevoll dekoriert, daß man unwillkürlich sehnsüchtig auf Hühneraugenpflaster und Slipeinlagen schaute.
Nachdem ich auch den letzten Laden bewundert hatte, starrte ich mit leerem Blick über den Place Verte und wußte nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Spontan beschloß ich, nach Durbuy weiterzufahren, in der Hoffnung, das Wetter könnte dort besser sein. Da Durbuy nur fünfundzwanzig Kilometer entfernt lag, war das allerdings recht unwahrscheinlich. Trotz der geringen Entfernung nahm die Fahrt, dank der Seltsamkeiten des belgischen Eisenbahnsystems, fast den ganzen Vormittag in Anspruch. Auch nach zweimaligem Umsteigen war ich noch nicht am Ziel, denn Durbuy selbst hatte keinen Bahnhof. Der nächstgelegene Bahnhof befand sich in Barvaux, das auf der Karte ungefähr einen halben Millimeter links von Durbuy lag, was in Wirklichkeit einer Entfernung von vier Kilometern entsprach, in deren Verlauf es einen atemberaubend steilen Berg zu überwinden galt. Schon vom Bahnhof konnte ich hören, wie sich Lkws die Steigung hinaufquälten. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Ich wollte ein Taxi nehmen. Da ich am Bahnhof keins fand, ging ich in die Stadt, eigentlich ein großes Dorf, und suchte nach einer Bushaltestelle oder einem Taxistand. Schließlich betrat ich ein Hotel an der Hauptstraße und erfuhr von der mürrischen Inhaberin, daß es in Barvaux weder Taxis noch Busse gab. Mit meinem besten Schulfranzösisch fragte ich die Dame, wie man nach Barvaux kommt, wenn man sans l’auto ist. Ich bereitete mich darauf vor, daß sie gleich einen toten Biber hervorholen würde, doch statt dessen sagte sie nur »À pied, Monsieur«, und
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