Wo bitte geht's nach Domodossola
auf Schritt und Tritt auf japanische Produkte stieß. Zeitungsartikel, die sich besorgt damit auseinandersetzten, wie diese hinterlistigen, kleinen Asiaten die Welt an sich reißen, trafen bei mir auf vollstes Verständnis. Doch dann, während eines Fluges in einer Boing 747, schloß ich meine Ohren an ein Paar Kopfhörer an, die die Klangqualität von an Schnüren befestigten Pappbechern hatten, und der Film, den sie uns zeigten , schien auf einen Badewannenvorleger projiziert zu sein. Und mir kam ein entsetzlicher Gedanke: Das war der neueste Stand der amerikanischen Unterhaltungselektronik. Wir hatten das technische Niveau von 1972 erreicht und waren dann einfach stehengeblieben. Hätten wir RCA und Westinghouse und den anderen amerikanischen Gesellschaften den Markt überlassen, würden wir heute Walkmen so groß wie Reisekoffer durch die Gegend schieben, und wir müßten per Hand die Filme in unsere Videorekorder fädeln. Seither bin ich den Japanern dankbar, daß sie mein Leben mit so nützlichen Dingen bereichert haben wie Armbanduhren, die Telefonnummern speichern und meinen Dispositionskredit berechnen können und die mir sagen, wann mein Frühstücksei lange genug gekocht hat.
Nun habe ich nur noch eins zu bemängeln, nämlich, daß wir mit diesen peinlichen Produktnamen leben müssen, die uns die Japaner vorsetzen. Was ist zum Beispiel Walkman für eine dumme und irreführende Bezeichnung! Diese Dinger können weder laufen, noch sind es Männer. Dem Namen nach scheint es sich um ein Gerät für Blinde zu handeln, mit dessen Hilfe sie sich auf der Straße besser orientieren können. Wären sie in Amerika entwickelt worden, hätte man ihnen einen flotteren Namen verpaßt – SoundBlaster oder MuzixMaster oder Dynam-0-Box. Aber in Amerika werden diese Dinge heutzutage nicht mehr entwickelt, also müssen wir mit den Namen Vorlieb nehmen, die sich die Japaner einfallen lassen – Sony Handy-Cam, Panasonic Explorer, Toyota Tercel. Ich persönlich käme mir komisch vor, ein Auto zu kaufen, dessen Name wie eine neuartige synthetische Faser klingt, mögen ihn die Japaner auch für noch so aufregend und galaktisch halten. Aber vermutlich kann man von Leuten, die an jedem Tag ihres Lebens weiße Hemden tragen, nicht mehr Phantasie erwarten.
Unschlüssig, was ich als Nächstes tun sollte, ging ich zum Bahnhof zurück, wo ich meinen Rucksack in einem Schließfach deponiert hatte. Eigentlich wollte ich ein paar Tage in Köln bleiben und einige der hervorragenden Museen der Stadt besichtigen, aber inzwischen konnte ich mich für diese Idee nicht mehr begeistern. Und dann sah ich etwas, das in mir das dringende Bedürfnis weckte, sofort zu verschwinden. Es war ein Nonstop-Pornokino, und zwar ein ziemlich übles, den Hochglanzbildern an der Kasse nach zu urteilen. Das Kino befand sich im Bahnhof, eine der Dienstleistungen, die das aufmerksame Management der Deutschen Bundesbahn den Reisenden zugestand. Ich weiß selbst nicht genau warum, aber ich fand das äußerst abstoßend. Ich hege keine besondere Abneigung gegen Pornografie, aber in einem Bahnhof?
Die Vorstellung, daß ein Geschäftsmann am Ende seines Arbeitstages hier Zwischenstation macht, um zwanzig Minuten dem lüsternen Treiben zuzusehen, und dann den 17.40 nach Bensberg nimmt und in den Schoß der Familie zurückkehrt, hat etwas ausgesprochen Liederliches. Und noch liederlicher erscheint das Ganze, wenn man sich vor Augen führt, daß es von einer staatlichen Bahngesellschaft gebilligt wird. In diesem Augenblick rasselte die riesige Anzeigetafel über mir ihr tschickata tschickata, und ein Schnellzug nach Amsterdam wurde angekündigt. »Haltet den Zug auf!« stammelte ich und hastete zum Fahrkartenschalter.
Amsterdam
Die Ankunft an der Amsterdamer Centraal Station ist ein Erlebnis für sich. Der Bahnhof liegt mitten in der Stadt, auf einem sonnigen Platz am Ende der Hauptstraße Damrak. Man tritt aus dem Haupteingang, und da sind sie
– die letzten Hippies dieser Welt. Ich hatte keine Ahnung, daß es noch so viele sind. Es waren Dutzende, wenn nicht Hunderte. Sie hockten in Gruppen von sechs oder acht zusammen, spielten Gitarre, ließen Joints reihum gehen und sonnten sich. Sie sahen aus, wie man es von Leuten erwartet, die ein Vierteljahrhundert damit zugebracht haben, auf öffentlichen Plätzen herumzulungern und Dope zu rauchen. Vielen von ihnen fehlten Zähne und Haare, ein Mangel, den sie mit Unmengen von Kindern und Hunden kompensierten.
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