Wo bitte geht's nach Domodossola
jährlich ungefähr 350 Millionen Mark kosten. Das scheint jedoch nur solange eine beachtliche Summe zu sein, bis man erfährt, daß allein der Bau von zwanzig Kilometern Autobahn teurer ist oder daß das Land für die Fußballweltmeisterschaft 1990 ein Vielfaches in seine Stadien investiert hat. Dieser Betrag entspricht nicht einmal 0,2 Prozent des italienischen Haushaltsetats. Dementsprechend stapeln sich zwei Drittel der italienischen Kunstschätze in Lagerhäusern oder werden der Öffentlichkeit auf sonstige Weise vorenthalten, während viele andere Kulturdenkmäler mangels Pflege langsam verrotten. So stürzte im März 1989 der 900 Jahre alte Turm von Pavia ein. Er kippte einfach um und tötete vier Menschen. Und viele Kostbarkeiten liegen so ungeschützt herum, daß Diebe sie nur einzusammeln brauchen. Allein 1989 verschwanden annähernd 13000 Kunstwerke aus den Museen und Kirchen des Landes, und während ich hier schreibe, werden 90000 Kunstschätze vermißt. Achtzig Prozent aller Kunstraube in Europa werden in Italien verübt.
Diese gleichgültige Haltung dem nationalen Erbe gegenüber hat in Rom eine lange Tradition. Tausend Jahre benutzten Baumeister und Architekten die antiken Bäder, Tempel und all die anderen zeitlosen Denkmäler der Stadt als Steinbrüche, und zwar im allgemeinen mit dem Segen der römisch-katholischen Kirche (die an den Gewinnen beteiligt war und eine Menge Fragen zu beantworten hätte, wenn sie meine Meinung hören wollen). Das Colosseum ist nicht die Ruine, die es heute ist, weil der Zahn der Zeit so verheerend daran genagt hat, sondern weil die Leute über Hunderte von Jahren mit Vorschlaghämmern brockenweise Gestein abgeschlagen und in die nahen Kalköfen gekarrt haben, um es dort zu Zement zu verarbeiten. Als Bernini große Mengen Bronze für den Bau seines aufwendigen Baldachins im Petersdom brauchte, bediente er sich an der Kuppel des Pantheons. Es ist ein Wunder, daß überhaupt etwas vom alten Rom die Jahrhunderte überdauert hat. Da sich meine Pläne, das Museo Borghese zu besichtigen, zerschlagen hatten, machte ich statt dessen einen Spaziergang durch die umliegenden Gärten, heute der größte und schönste öffentliche Park Roms. Ich genoß jede Minute, mit Ausnahme jener Schrecksekunde, als ich in einem Wäldchen einen Mann mit groben Gesichtszügen auf der Erde hocken und an einen Baum scheißen sah, wobei er mich mißmutig beobachtete. Zum ersten Mal wurde mir bewußt, daß sich Europäer offensichtlich mit Vorliebe unter freiem Himmel ihrer unbrauchbaren Stoffwechselprodukte entledigen. In Frankreich und Belgien sieht man an jeder Landstraße jemanden neben einem geparkten Wagen stehen und nur einen halben Meter von der Straße entfernt in die Büsche pinkeln. In Amerika würde man diese Leute in Handschellen abführen und verprügeln. Und in Paris stößt man noch immer auf diese Pissoirs mit den halbhohen Trennwänden in metallischem Grau, die nur dem einen Zweck dienen, daß
nämlich alle Welt sehen kann, wer da drin was tut. Ich habe nie begriffen, aus welchem Grund man uns Passanten den Anblick der Unterschenkel und Oberkörper der Benutzer zumutet. Warum konnten sie die Wände nicht zwei Meter hoch bauen? Wenn jemand da hinein geht, dann ist doch klar, was er zu tun gedenkt. Warum sollen wir also einen Blick auf ihn werfen?
Einmal sind mir ein Mann und zwei Frauen aufgefallen, vermutlich Arbeitskollegen auf dem Weg zur Mittagspause, die sich ungeniert zu dritt weiter unterhielten, während der Mann in einem dieser Dinger stand. Ich empfand den Anblick als äußerst befremdlich. Gäbe es in England diese Art von Bedürfnisanstalten, hätten sich die Frauen abgewandt und so getan, als würden sie ihren urinierenden Kollegen nicht bemerken. Aber andererseits fanden es schon die aristokratischen Damen und Herren im Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts ganz und gar normal, gemeinsam die Toilette zu besuchen (nachzulesen in Reay Tannahills Sex in History ) . Es kam sogar vor, daß sie sich nach dem Essen grüppchenweise auf den Abort begaben, um ihre angeregte Unterhaltung nicht unterbrechen zu müssen. Das bringt uns das Wesen der Franzosen sicher ein wenig näher. Was nun die Italiener betrifft, so fragt man einen Bekannten, den man auf der Straße trifft, heutzutage nicht mehr »Wie geht’s?« oder »Was macht die Familie? Alles gesund?«; im Jargon der römischen Arbeiterklasse heißt es vielmehr »Gut gekackt heute?« Im Ernst.
Und nach diesem
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