Wo bitte geht's nach Domodossola
jammerschade finde, denn mein ganzes Weltbild wurde von den Außenaufnahmen in Filmen wie Über den Dächern von Nizza und Außer Atem und Drei Münzen im Brunnen und sogar den Inspektor-Clouseau-Filmen geprägt. Hätte ich diese Filme nicht gesehen, würde ich heute in Peoria, Illinois, leben und glauben, das Paradies auf Erden gefunden zu haben. Rom war so schön, wie ich gehofft hatte, zigmal besser als Peoria. Es war alles, was Stockholm nicht war – warm, sonnig, temperamentvoll, an jeder Ecke gab es gut zu essen und billig zu trinken. An meinem ersten Abend traf ich mich mit einem amerikanischen Freund zum Essen, der seit zwanzig Jahren in Rom lebte. Er beklagte sich die ganze Zeit darüber, wie teuer und unmöglich das Leben dort geworden sei. Mir dagegen kam alles herrlich billig vor, vor allem nach einer Stadt wie Stockholm, und ich fragte ihn, wie er an einem warmen Frühlingsabend vor einer vorzüglichen Mahlzeit unter freiem Himmel sitzen und ständig nörgeln könne.
»Ja, ja, aber du solltest mal versuchen, hier einen Klempner kommen zu lassen«, sagte er, als würde das alles erklären. Nach dem Essen führte er mich durch die Stadt und zeigte mir, wie der Verfall um sich griff – die Bars an der Via Veneto, die keine Klasse mehr hatten und in denen es von deutschen und amerikanischen Touristen wimmelte, die zu dämlich waren, um zu kapieren, daß sie gnadenlos ausgenommen wurden; das Rugantino’s, der Nachtclub in der Nähe der Spanischen Treppe, der durch den Film La Dolce Vita berühmt wurde, ist jetzt ein McDonald’s; all die einst entzückenden, kleinen Restaurants und Hotels, die von ihren geschmacklosen Inhabern aus bloßer Geldgier zugrunde gerichtet wurden. Ich ließ ihn reden und hörte nicht zu. Ich fand alles wunderbar, selbst die unglaublich arroganten Kellner, selbst die Taxifahrer, selbst jenen Taxifahrer, der mich um 30000 Lire betrogen hatte – der Fahrpreis, den er mir für die Fahrt vom Roma-Termini zu meinem Hotel abknöpfte, ohne mich darauf aufmerksam zu machen, daß das Hotel ganze zweieinhalb Häuserblocks entfernt lag und daß ich es in dreißig Sekunden zu Fuß erreicht hätte –, denn er brachte mich mit einem solchen Charme um mein Geld, daß ich mir verzieh, auf ihn hereingefallen zu sein. Ich war so begeistert von ihm, daß ich ihm sogar ein Trinkgeld gab.
Mein Hotel befand sich in einem heruntergekommenen Viertel unweit der Via Cavour. Es war eines dieser Viertel, in denen man an die Gebäude pinkeln kann, ohne daß sich jemand daran stört, aber es lag zentral genug, um von dort aus jeden Teil der Innenstadt zu Fuß erreichen zu können. Und von dieser Möglichkeit machte ich ausgiebig Gebrauch. Tagelang lief ich durch die Straßen. Kurz nach Sonnenaufgang brach ich auf, in dieser perfekten Stunde, in der die Luft noch frisch und unverbraucht ist, und sah zu, wie die Stadt erwachte, wie Ladenbesitzer pfeifend vor ihrer Tür den Gehsteig fegten, Markisen herunterließen und die Rolläden vor ihren Fenstern hochschoben. Ich wanderte durch die Gärten der Villa Borghese, kletterte die Spanische Treppe rauf und runter, bummelte über die Via dei Condotti und sah mir die Schaufenster an, bewunderte das Colosseum und das Forum Romanum, überquerte den Fluß an der Isola Tiberina, um die hügeligen Straßen von Trastevere zu durchwandern, und erklomm die Anhöhe von Gianicolo, von wo man einen herrlichen Blick über die Stadt hat und wo auf schmalen Felsvorsprüngen junge Paare sich unter heftigem Stöhnen umschlangen. Die Italiener scheinen eine Methode entwickelt zu haben, die es ihnen erlaubt, miteinander zu schlafen, ohne sich ihrer Kleidung entledigen zu müssen, und genau das praktizierten sie hier oben. Es ging so lebhaft zu, daß ich mich fragte, wann wohl der erste über den Rand stürzen und auf den Felsen darunter zerschmettern würde. Ich schleckte ein Eis und wartete, aber es stürzte niemand. Zum Glück. Sie müssen Saugnäpfe am Rücken haben.
Eine Woche lang lief ich durch Rom. Ich lief und lief, daß mir die Socken qualmten. Wurde ich müde, trank ich irgendwo einen Kaffee oder sonnte mich auf einer Bank, bis ich weiterlaufen konnte. Dabei ist Rom alles andere als eine fußgängerfreundliche Stadt. Auf Schritt und Tritt ist man der Gefahr ausgesetzt, überfahren zu werden. Da überquert man den Zebrastreifen eines breiten Boulevards, ist in Gedanken bei Ornella Muti, und plötzlich wird einem bewußt, daß die Autos, die da auf sechs Fahrspuren
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