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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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dieselbe Redseligkeit, dasselbe Gehupe. Sogar die Polizisten standen ebenso träge und untätig in der Gegend herum, und die Leute hatten eine ähnliche Art und Weise, mit Händen und Füßen zu reden. Und in der Luft lag dieselbe unkoordinierte, spannungsgeladene Energie. Der einzige Unterschied besteht darin, daß in Rom ein so wunderbares Chaos herrscht, während New York ziemlich gut organisiert ist. Die Leute stehen geduldig Schlange, befolgen im großen und ganzen die Verkehrsregeln und beachten die Sitten und Gebräuche, die das Leben in geordneten Bahnen halten. Die Italiener fühlen sich der Ordnung dagegen nicht im geringsten verpflichtet. Sie leben in einer Art Chaos, das ich als sehr verlockend empfinde. Sie stehen nicht geduldig Schlange, zahlen ihre Steuern nicht, erscheinen bei Verabredungen grundsätzlich unpünktlich, rühren ohne Bestechung keinen Finger; sie glauben überhaupt nicht an Vorschriften irgendwelcher Art. An den Fenstern italienischer Züge verkündet ein Aufkleber in drei Sprachen, daß man sich nicht aus dem Fenster lehnen soll. In Französisch und Deutsch klingt es wie ein Befehl, auf Italienisch ist es eher ein Vorschlag. Anders wäre es auch wohl kaum denkbar.
    Selbst bei italienischen Entführern geht es zuweilen recht formlos zu. Im Januar 1988 wurde ein Achtzehnjähriger namens Carlo Celadon gekidnappt. Seine Entführer versteckten ihn in einer zwei Meter tiefen Grube in der Erde und versorgten ihn mit Lebensmitteln, ließen sich aber neun Monate Zeit, bis sie schließlich im Oktober des Jahres ihre Lösegeldforderung stellten. Ist das nicht unglaublich? Sie verlangten fünf Milliarden Lire (ca. 6,5 Millionen Mark), und die verzweifelten Eltern zahlten sofort. Doch dann stellten die Entführer weitere Forderungen, auf die die Eltern nicht eingingen. Letzten Endes wurde der Junge nach zwei Jahren und 100 Tagen freigelassen.
    Als ich dort war, plagte sich Italien gerade mit der achtundvierzigsten Regierung innerhalb von fünfundvierzig Jahren ab. Das Land weist die sozialen Strukturen einer Bananenrepublik auf und ist erstaunlicherweise dennoch erfolgreich. Mittlerweile sind die Italiener die fünftstärkste Wirtschaftsmacht der Welt, was ich in Anbetracht der chaotischen Zustände für eine atemberaubende Leistung halte. Hätten sie die Arbeitsmoral der Japaner, würden sie wohl bald die Vorherrschaft auf unserem Planeten übernehmen. Gott sei Dank sind sie weit davon entfernt, denn sie ziehen es vor, ihre beträchtlichen Energien für den alltäglichen Kleinkram aufzuwenden – für die Kinder, für gutes Essen, für Streitereien in Cafes –, und so sollte es ja auch sein. Eines Morgens saß ich in einer Bar an der Via Marsala, als drei Arbeiter in Blaumännern eintraten. Sie setzten sich an den Tresen und bestellten Kaffee. Es verging nicht einmal eine Minute, da begann einer von ihnen, einem anderen heftig gegen die Brust zu stoßen und ihm irgendwelche Vorwürfe an den Kopf zu werfen, während der Dritte wild mit den Armen gestikulierte, Klagelaute von sich gab und nach Luft schnappte, als wäre er dem Ersticken nahe. Ich rechnete jeden Moment damit, Messer aufblitzen und Blut fließen zu sehen, bis mir schließlich dämmerte, daß sie sich lediglich über die Qualität des am Vortag gegen Belgien erzielten Tores von Schillaci oder über den Benzinverbrauch eines Fiat Tipo oder über etwas ähnlich Belangloses unterhielten. Kurz darauf kippten sie ihren Kaffee hinunter und verließen einträchtig das Lokal. Was für ein wundervolles Land.

    An einem Vormittag wollte ich das Museo Borghese besichtigen. Ich hatte irgendwo gelesen, daß es 1985 wegen dringend erforderlicher Renovierungsarbeiten für zwei Jahre geschlossen worden war. Als ich nun davor stand, war die Villa noch immer von Gerüsten und einem verbeulten Wellblechzaun umgeben. Es hatte den Anschein, als würde es noch eine ganze Weile dauern, bis das Museum der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung stehen würde – und das fünf Jahre nach seiner Schließung und drei Jahre nach dem ursprünglich vorgesehenen Termin zur Wiedereröffnung. Und genau das ist diese Unzuverlässigkeit, mit der zu leben ziemlich nervenaufreibend sein muß, die man aber bald als einen unvermeidlichen Bestandteil des Lebens hinnimmt – wie in England das Wetter.
    Die Pflege seines kulturellen Erbes ist nicht gerade Italiens starke Seite – das muß einmal gesagt werden. Das Land läßt sich dessen Instandhaltung und Restaurierung

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