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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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durchschnittlich nicht einmal die Hälfte von dem, was er in Mailand verdienen würde. Doch viele ihrer Probleme hat sich die Stadt selbst geschaffen, vor allem durch Korruption und Inkompetenz. Laut The Economist hat Neapel ab 1986 drei Jahre lang seine Stromrechnungen für die Straßenbeleuchtung nicht bezahlt und auf diese Weise Schulden in Höhe von umgerechnet 1,1 Milliarden Dollar auflaufen lassen. Der gesamte Dienstleistungsbereich dieser Stadt steht seit Jahren am Rande des Zusammenbruchs. In Neapel sind doppelt so viele Müllmänner wie im deutlich größeren Mailand beschäftigt, und dennoch häuft sich in den Straßen der Unrat, und die Arbeit der Straßenreinigung ist eine einzige Katastrophe. Die Stadt ist einfach nicht zu regieren.
    Ich kam am Istituto Tecnico Commerciale vorbei, wo es gerade einen Aufruhr zu geben schien, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes. Studenten warfen Bücher und Papiere aus den Fenstern der oberen Stockwerke und debattierten lauthals mit ihren Kommilitonen auf der Straße. Ob es sich hier um eine Form des Protestes oder lediglich um einen Teil der täglichen Routine handelte, vermochte ich nicht zu entscheiden. Ich kann nur sagen, daß ich überall Müll und Chaos vorfand – schreiende Menschen, hupende Autos, blökende Krankenwagen.
    Nach Capri waren all der Lärm und Dreck schwer zu ertragen. Ich lief und lief, und es wurde nicht besser. Schließlich stand ich auf der größten Einkaufsstraße der Stadt, der Via Roma, deren Geschäfte zwar überwiegend schick und gepflegt waren, aber auch hier sammelte sich der Müll in jeder Ecke, und es wimmelte von Menschen, so daß es fast unmöglich war, seiner Wege zu gehen, ohne ständig vom Gehsteig an den Rand des fließenden Verkehrs abgedrängt zu werden. Und ich sah nicht ein Hotel, das aussah, als wären seine Betten länger als zwanzig Minuten belegt.
    Zu meiner großen Überraschung fand ich mich unerwartet auf der Piazza Garibaldi wieder, vor den Toren des Hauptbahnhofs. Quer durch Neapel bin ich direkt darauf zu marschiert. Verschwitzt und mit Blasen an den Füßen blickte ich auf die Stadt zurück, die ich soeben durchquert hatte, und überlegte, ob ich ihr noch eine Chance geben sollte. Aber ich konnte sie nicht länger ertragen und bahnte mir statt dessen den Weg durch die siebenundzwanzig Taxifahrer, betrat die Bahnhofshalle und löste eine Fahrkarte nach Florenz. Es konnte nur besser werden.

    Florenz

    Ich saß im langsamsten Zug der Welt. Wie ein Marathonläufer mit einer Muskelzerrung holperte er durch die Lande und hatte nicht einmal einen Speisewagen. Anfangs war er noch voll besetzt, doch als der Nachmittag in den Abend überging, lichteten sich die Reihen zusehends. Und als aus dem Abend stockfinstere Nacht geworden war, waren nur noch drei von uns übriggeblieben – ein in seine Akten vertiefter Geschäftsmann, ein Kerl, der aussah wie ein Doppelgänger von Frankensteins Igor, und ich. Alle vier oder fünf Kilometer hielt der Zug an einem unbeleuchteten Bahnhof, an dem seit Wochen kein Zug mehr gehalten hatte und an dem niemand ein-oder ausstieg.
    Manchmal hielt er auch irgendwo mitten in der schwarzen Landschaft und blieb einfach stehen. Er blieb so lange stehen, daß man sich zu fragen begann, ob der Lokführer sich vielleicht in die Büsche geschlagen hatte, um zu pinkeln, und dabei in einen Brunnen gefallen war. Irgendwann setzte sich der Zug dann wieder in Bewegung, rollte dreißig Meter rückwärts und blieb erneut stehen. Und mit einem gewaltigen Whoomp, das den Waggon ins Wanken brachte und die Fenster erzittern ließ, schoß urplötzlich ein anderer Zug vorbei, in dessen hell erleuchteten Wagen man flüchtig Menschen erkennen konnte, die beim Essen saßen oder Karten spielten und sich bestens amüsierten, während sie mit der Geschwindigkeit eines Lasers durch Europa rasten. Und dann herrschte wieder Stille, und wir standen eine weitere Ewigkeit, bis unser Zug soviel Energie gesammelt hatte, um sich zum nächsten einsamen Bahnhof zu schleppen. 
    Es war weit nach elf, als wir in Florenz ankamen. Ich war dem Verhungern nahe und erschöpft und hatte das dringende Bedürfnis, mir etwas Gutes anzutun. Beunruhigt, aber nicht unbedingt überrascht stellte ich fest, daß alle Restaurants in der Umgebung des Bahnhofs geschlossen waren. In einer Imbißstube brannte noch Licht. Ich eilte hinüber und träumte von einer Pizza so groß wie ein Mülltonnendeckel, beladen mit Bergen von Pilzen und

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