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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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sich ganz sicher nicht um ein Fünf-Sterne-Hotel. Es hatte nicht einmal einen Pagen, so daß der Manager selbst mich zum Zimmer begleiten mußte, wenn er es auch mir überließ, mich mit dem Gepäck abzuschleppen. Wir stiegen eine herrschaftliche Treppe hinauf, auf der zwei Arbeiter damit beschäftigt waren, einen freundlichen Ockerfarbton auf die Marmorstufen tröpfeln zu lassen und gelegentlich ein wenig davon über die Wände zu verteilen. Im zweiten Stock führte mich der Mann in ein winziges Zimmer. Da er der Manager war, wußte ich nicht, ob ich ihm ein Trinkgeld geben sollte, wie ich es bei einem Pagen getan hätte, oder ob ich ihn damit beleidigen würde. Ich entschied mich schließlich für einen, meiner Ansicht nach, intelligenten Kompromiß. Ich gab ihm ein Trinkgeld, aber nur ein sehr bescheidenes, woraufhin er mich ansah, als hätte ich ihm eine alte Mullbinde in die Hände gedrückt. Also hatte ich die Situation doch falsch eingeschätzt.
    »Vielleicht lachen Sie das nächste Mal über meine Witze«, murmelte ich gutgelaunt, während ich die Tür vor seiner Nase schloß.
    Capri war wunderbar, ein Städtchen von grenzenlosem Charme, voller Villen und winziger Zitrushaine und mit einer atemberaubenden Aussicht über den Golf von Neapel bis hin zum Vesuv. Im seinem Herzen lag die Piazza Umberto I, ein kleiner Platz, umstanden von cremefarbenen Gebäuden und gefüllt mit Tischen und Korbstühlen, die zu den Cafés an der anderen Straßenseite gehörten. An einem Ende des Platzes erhob sich würdevoll eine alte weiße Kirche, während sich am anderen Ende eine von einem Geländer umgebene Terrasse befand, von der aus man einen weiten Blick über das Meer tief unter einem hatte.
    Ich kann mich an keinen Ort erinnern, in dem es sich so angenehm umherstreifen ließ. Das Städtchen bestand aus einem Gewirr von Gassen und Gäßchen, die von weißen Mauern eingefaßt waren. Viele waren nicht einmal einen Meter breit, und alle waren sie auf verwirrende Weise miteinander verbunden, so daß ich mich ständig unerwartet an einer Stelle wiederfand, die ich zehn Minuten zuvor in entgegengesetzter Richtung verlassen hatte. Alle paar Meter gaben schmiedeeiserne Tore in den Mauern den Blick auf weiße Häuser in einem Dickicht aus blühenden Sträuchern frei. Und alle paar Meter kreuzten sich zwei Gassen, von denen eine sich den steil abfallenden Hang hinunter schlängelte, oder eine Treppe wand sich zu einer Häusergruppe, hoch oben unter den Wolken, hinauf. Jedes Haus, das ich sah, wollte ich haben. Große Straßen gab es überhaupt nicht, abgesehen von der einen, die vom Hafen in die Stadt und weiter nach Anacapri an der anderen Seite der Insel führte. Was abseits dieser Straße lag, war nur zu Fuß zu erreichen, und das bedeutete oft einen beschwerlichen Marsch. Für Lieferanten von Waschmaschinen muß Capri der schrecklichste Ort der Welt sein. Die meisten Geschäfte lagen hinter der Kirche, in wieder einem anderen Labyrinth aus Gassen und kleinen Plätzen von unbeschreiblichem Charme. Alle Läden hießen Gucci, Yves St. Laurent oder hatten einen ähnlich exklusiven Namen, was die Vermutung nahelegt, daß Capris Sommergäste reich und unerträglich sein müssen. Glücklicherweise hatten die meisten Läden noch geschlossen, und auch von den mit Seglermützen ausstaffierten Typen und ihren mit Juwelen behängten Frauen, die im Sommer ihre Kassen klingeln lassen, war auf der Insel noch nichts zu sehen. Ich folgte einer Gasse, die vollständig von den oberen Stockwerken der Häuser überdacht war und sich stetig bergauf durch die Stadt wand. Als die Villen rechts und links allmählich größer wurden und die Grundstücke weitläufiger, öffnete sich die Gasse wieder dem Himmel. Sie stieg so steil an, daß ich bald schon wieder außer Atem war. Mühsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Die Landschaft war viel zu schön, um umzukehren. Wie von einem Magneten angezogen trieb es mich aufwärts. Endlich wurde der Weg eben und führte durch ein Kiefernwäldchen, in dem die Luft von dem Geruch erwachender Pflanzensäfte erfüllt war. Während an der einen Seite stattliche Villen den Pfad säumten – wie haben die Leute bloß ihre Möbel hierher geschafft? – bot die andere Seite einen schwindelerregenden Blick über die Insel: die Berghänge übersät mit weißen Häusern, von Hibiskus und Bougainvillea und hundert anderen Pflanzenarten überwuchert.
    Es dämmerte fast. Ein paar hundert Meter vor mir machte der Weg

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