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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Japanern bevölkerten die Straßen und Plätze – nicht nur die üblichen Busladungen von Japanern mittleren Alters, sondern auch Studenten und junge Paare und Rucksacktouristen. Sie waren mindestens so zahlreich wie die Amerikaner, und die Amerikaner waren überall, plus Scharen von Deutschen und Australiern und Skandinaviern und Holländern und Briten und und und. Es ist erstaunlich, wieviele Menschen in eine Stadt hineinpassen.
    Und hier ein paar interessante Fakten für Sie: In meinem Geburtsjahr 1951 transportierten alle internationalen Fluggesellschaften der Welt zusammen sieben Millionen Passagiere. Heute fliegen so viele Menschen im Jahr allein nach Hawaii. Die beliebteren der europäischen Reiseziele verzeichnen Besucherzahlen, die ihre eigenen Bevölkerungzahlen in den Schatten stellen. So übersteigen die Besucherzahlen in Florenz die Einwohnerschaft alljährlich um das Vierzehnfache. Kann sich denn eine Stadt ein unabhängiges Eigenleben bewahren, wenn sie dermaßen überrannt wird? Das kann sie nicht. Ganz einfach.
    Es ist natürlich scheinheilig, über die Touristen zu schimpfen, wenn man selbst einer ist, dennoch kann man sich der Tatsache nicht entziehen, daß der Massentourismus gerade die Dinge zerstört, die er bejubelt. Und es kann nur schlimmer werden, da sich nun auch die Japaner und andere reiche Asiaten zu eifrigen Weltenbummlern entwickeln. Wenn man dann noch die Millionen von Osteuropäern hinzunimmt, die endlich reisen können, wohin sie wollen, dann werden wir auf die letzten dreißig Jahre wohl bald wie auf das goldene Reisezeitalter zurückblicken. In Florenz machen sich die Folgen dieser Entwicklung nirgends so bemerkbar wie auf der Ponte Vecchio, der von Läden gesäumten Brücke über den Arno. Vor zwanzig Jahren beherbergte die Ponte Vecchio Gold-und Silberschmiede, und es ging dort selbst im August noch so beschaulich zu, daß man in aller Ruhe einen auf dem Brückengeländer sitzenden Freund (oder in meinem Fall Stephen Katz) fotografieren konnte. Heute herrscht dort ein Gedränge wie im Laderaum der Lusitania nach einem Torpedoalarm. Scharen von senegalesischen Einwanderern bevölkerten die Brücke und verkauften billigen Schmuck oder nachgemachte Louis-Vuitton-Taschen, die vor ihnen auf einer Decke oder einem Stück schwarzen Samt ausgebreitet lagen. Und ein Heer von Touristen drängte sich an ihnen vorbei, so daß es eine halbe Stunde dauerte, bis ich die Brücke endlich überquert hatte – zum ersten und letzten Mal in dieser Woche, denn von nun an nahm ich die Ponte di Santa Trinita, die nächste Brücke flußabwärts, ein Umweg, der sich als wesentlich weniger beschwerlich erwies.
    Die Stadtväter von Florenz könnten eine Menge tun, um den Andrang zu lindem. Sie könnten beispielsweise veranlassen, daß die Museen länger als nur ein paar Stunden am Tag geöffnet sind, damit nicht alle gleichzeitig hineinströmen. Ich ging zu den Uffizien, wo ich vierzig Minuten Schlange stehen mußte, um anschließend mit Hunderten von Menschen durch die Räume zu schlurfen und mir vor jedem Gemälde fast den Hals auszurenken. Mehrere Räume waren abgesperrt und dunkel. Und auch hier könnte man die Massen verteilen, indem man ihnen mehr Räume zur Verfügung stellt und mehr Kunstwerke zeigt. Im Jahre 1900 waren in den Uffizien noch 2395 Gemälde zu sehen. Heute sind es gerade 500. Die übrigen Bilder lagern hinter Schloß und Riegel und werden so gut wie nie ausgestellt. Dennoch wird der Besucher in den Uffizien für all die Unannehmlichkeiten entschädigt. Wahrscheinlich gibt es dort mehr vollkommene Gemälde zu sehen als in jedem anderen Museum auf diesem Planeten – nicht nur Tintorettos und Botticellis, sondern auch überwältigende Werke von Künstlern, die mir völlig unbekannt waren, wie Gentile da Fabriano und Simone Martini. Es ist mir ein Rätsel, warum sie nicht zu ebensolchem Ruhm gelangt sind wie die beiden erstgenannten Meister. Aber in hundert Jahren kann das ganz anders aussehen. Alte Meister kommen und gehen. Wußten Sie zum Beispiel, daß Piero della Francesca vor einem Jahrhundert noch so gut wie unbekannt war? Kann man denn seine Porträts des Herzogs von Urbino betrachten, ohne in ihnen auf den ersten Blick Meisterwerke zu erkennen? Doch Ruskin hat ihn in all seinen Schriften nur einmal beiläufig erwähnt, und bei Walter Pater taucht sein Name überhaupt nicht auf. Selbst das Evangelium der Kunstwelt des neunzehnten Jahrhunderts, Heinrich Wölfflins Die

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