Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)
gesagt haben, ist es durchaus verständlich, dass Ihre Mutter aus allen Wolken gefallen ist.“
„Dann hat meine Mutter also recht und ich nicht?“, frage ich entgeistert.
„Das habe ich nicht gesagt. Ich meine damit nur, dass Ihre plötzliche Haltung bestimmt für sehr viel Verwirrung gesorgt hat. Dass Ihre Mutter sich nicht mit Ihrer Kritik auseinandergesetzt hat, ist eine vollkommen andere Geschichte.“
„Aber genau genommen, ist meine Haltung schon immer so gewesen, wie ich sie in diesem Moment ausgestrahlt habe. Das ist ja nichts, was mir einfach ganz plötzlich in den Kopf gekommen ist.“
„Trotzdem haben Sie es in all den Jahren ständig vor anderen verborgen und Ihrer Umwelt nur dieses eine Mal einen wahren Einblick in Ihre Gefühlswelt gestattet. Schließlich kann ja niemand Gedanken lesen.“
„Meiner Meinung nach müsste eine Mutter aber trotzdem wissen, dass sie ihre Tochter verletzt, wenn sie von ihr wie ein lästiges Anhängsel behandelt wird und nie auch nur ein gutes Wort für sie übrig hat.“
Frau Glaser nickt. „Das haben Sie gerade vollkommen richtig ausgedrückt. , Ihrer Meinung nach ... ‘ Für Sie ist das die klare Grenze zwischen richtig und falsch. Andere Menschen hingegen setzen ihre Prioritäten anders. Und Ihre Mutter ist einer davon.“
„Wollen Sie damit etwa sagen, dass es nicht so etwas wie einen generellen Verhaltenskodex gibt, der die Dinge ganz deutlich in gut und schlecht oder richtig und falsch eingliedert?“
„Doch, in gewisser Weise gibt es so etwas. Allerdings arbeitet ihn sich jedes Individuum für sich selbst aus. Natürlich kommt es dabei auch zu Parallelen. Aber sie werden keinen Menschen finden, der in allen Lebenslagen exakt die gleichen Vorstellungen und Gedanken hat, wie irgendjemand anders auf der Welt. Eine einhundertprozentige Übereinstimmung gibt es nicht. Und wenn man es genau betrachtet, ist das für unser Leben eher eine Bereicherung, als eine Last. Stellen Sie sich nur vor, wie langweilig es wäre, wenn Sie immer wüssten, was die anderen denken, oder wenn andere immer wüssten, was Sie denken ...“
Oh Gott, das wäre tatsächlich nicht gut!
„Es gäbe keine Gespräche mehr“, fährt sie fort, „keinen Austausch. Alles würde immer nur monoton verlaufen. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Sie Ihrer Umwelt zu verstehen geben, was Sie denken und wie Sie fühlen. Natürlich müssen Sie nicht alles von sich preisgeben. Es gibt immer ein gewisses Maß an Zurückhaltung, doch den Umfang dieser Diskretion bestimmt jeder Mensch für sich allein.
Allerdings es wäre ein großer Fehler, Gedanken und Gefühle immer nur mit sich selbst auszumachen, weil man voraussetzt, dass andere ganz genauso denken.“
„Und was schlagen Sie vor? Soll ich noch einmal den Kontakt zu meiner Familie suchen und sie über alles aufklären?“
„Möchten Sie das?“
„Ich glaube nicht, dass ich momentan die Kraft dazu habe“, entgegne ich, während ich das Bild von Homer Simpson betrachte. Gleichzeitig überkommt mich ein eiskalter Schauer, denn für den Bruchteil einer Sekunde habe ich tatsächlich gedacht, dass mir selbst dieser Kerl an der Seite meiner Mutter lieber gewesen wäre, als Speck-Horst. „Allerdings kann ich jetzt auch noch nicht sagen, wie es in einem Jahr oder vielleicht sogar in zehn Jahren sein wird. Wenn Sie mir hingegen dazu raten, es jetzt zu tun, werde ich es versuchen. Sie sind ja die Therapeutin.“
„Leider kann ich Ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen. Meine Aufgabe ist es, Ihnen dabei zu helfen, die Welt nicht nur schwarz und weiß zu sehen, sondern die unendlich vielen Facetten dahinter zu erkennen. Den Weg, den Sie danach einschlagen, müssen Sie selbst wählen. Denn Sie kennen sich am besten und wissen somit auch besser als jeder andere Mensch, was gut für Sie ist und was nicht. Es gibt kein Muster, dem Sie folgen müssen, um glücklich zu sein. Hören Sie auf Ihre innere Stimme, Ihre Bedürfnisse und Ihren Körper, und dann tun Sie, was Sie für sich als richtig erachten!“
Ich kräusle die Lippen. Einerseits verstehe ich, was Frau Glaser mir damit sagen möchte. Auf der anderen Seite hingegen habe ich gehofft, einmal nicht für mich entscheiden zu müssen, sondern die Verantwortung abgeben zu können. Inzwischen weiß ich nämlich gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, sich mal fallen zu lassen. Bei Daniel ist es jedenfalls nie so gewesen. Ich bin immer die Verantwortungsvollere von uns beiden gewesen. Ich habe
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