Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
noch um Stunden handeln“, sprach der Professor.
„Der arme Hund.“
Einen Moment überlegte der Professor, ob seinem Helfer die Doppeldeutigkeit seiner Äußerung bewusst ist. „Wenn du den Wau-Wau damit meinst, hast du sogar recht, sofern das Leben absurd ist... Was der wohl von Beruf war...“
„Der Hund? ... Pfarrer. Heinz Mastort war Pfarrer.“
„Nicht wahr. Da muss er irgendwann seinen Glauben verloren haben.“
„Glaube ich nicht. Eher hat er ihn gekündigt.“
„Fürwahr ein Unterschied... Er muss also irgendwann seinen Glauben gekündigt haben, sonst wäre er kaum in ein weltliches Hospiz gegangen... Woher weißt du eigentlich, was er beruflich gemacht hat?“
„Gegoogelt. Mein Smartphone hat Inter...“
„Ist klar.“
Der Professor und sein Helfer hatten sich im Folgenden schon eine ganze Zeit schweigend gegenüber gesessen, als ein Pfleger das „Exit“ betrat. Schnurstracks ging er zur Theke, bestellte sich ein Bier und sagte zu Robert Lang: „Der beeindruckende Heinz Mastort ist soeben gestorben.“
Der Angesprochene schien über den Einfluss von Heinz Mastort auf den Tagesablauf im Hospiz bestens Bescheid zu wissen. „Schluss mit lustig“, sprach Robert kurz.
*
Einmal im Monat nahmen alle Mitarbeiter des Hospizes Abschied von den Verstorbenen. Für jeden Gegangenen wurde eine Kerze angezündet und wer wollte, sprach über den ehemaligen Gast. Bei Heinz Mastort meldete sich jeder Anwesende zu Wort. Auch wenn die Einzigartigkeit jedes Menschen eine tiefe, längst selbstverständlich gewordene Erfahrung der Pflegekräfte war, so kam ihnen bei ihrer Nachbetrachtung über die Besonderheiten von Heinz Mastort mehr als nur einmal das Staunen. „Dadaismus in Potenz“, fasste Frau Reiff ihre Beobachtungen über Heinz Mastort zusammen. Mehrere zweifelnde Blicke deuteten darauf hin, dass nicht alle Anwesenden ihrer Meinung waren.
Für Manfred änderte der Tod von Heinz Mastort einiges. Wie selbstverständlich übernahm er Hund Höttges, der auf seiner Wolldecke fortan eine Ecke von Manfreds Zimmer in Anspruch nahm. Das war es aber nicht, was die entscheidende Veränderung für Manfred darstellen sollte.
Dass der Abschied von den Lebenskräften einen Zickzackkurs fährt – auch wenn die Kurve dabei schonungslos ihre abwärtsgerichtete Stoßrichtung nie vergisst –, hatte Manfred seit seiner ersten Krebsdiagnose mehrmals erlebt. Und nun stand eine solche Erfahrung von Neuem an. Den langen und abwechslungsreichen Tagen unter der Regentschaft von Heinz Mastort sollten alsbald zunehmend kürzere und eintönige folgen. Manfred war es vorgekommen, als hätte er sich zu Lebzeiten von Heinz Mastort an dessen Energiespeicher bedient, was nicht nur körperlich seine Verfassung erheblich verbessert hatte.
Ein Zeichen für die gute Verfassung von Manfred war es, dass die abendlichen Gespräche mit Ilona ganz überwiegend mit Fragen des Hier und Jetzt beschäftigt gewesen waren. Man hatte sich beispielsweise interessiert über das unterhalten, was man in der Tagesschau gesehen hatte. Manfreds Kraft erlaubte es, dabei sehr angeregt und in ausführlicheren Begründungszusammenhängen zu reden. Kam Vergangenes aus dem gemeinsamen Leben von Ilona und Manfred zur Sprache, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die freudige Erinnerung des Gewesenen. Nur selten berührte man extreme Gefühlswelten, und wenn doch, dann mit einer schon lange nicht mehr erlebten Leichtigkeit.
War es das Wort Dankbarkeit, das die Aura ihrer Gespräche am besten zu überschreiben verstand? Ilona hatte sich in der Ahnung bevorstehender Veränderungen noch in der Todesstunde von Heinz Mastort diese Frage gestellt und sie rasch mit einem mit Ausrufezeichen bedachten ja beantwortet. Die erlebte Zweisamkeit hier im Hospiz erschien ihr in der Nachbetrachtung fast unwirklich. So viel ununterbrochen gelebte, tiefe Harmonie, wie sie es an den langen Abenden mit Manfred erfahren hatte, kannte sie sonst nur aus Gedichten.
Wie lange würde diese Eintracht, diese Verträglichkeit, dieser Wohlklang, jetzt, wo der Energiespeicher Heinz Mastort nicht mehr da war, weitergehen? Natürlich war Ilona klar, dass das bald vorbei sein wird. Denn die Bewusstheit und Klarheit ihrer Gespräche war zu einem hohen Grad an Manfreds Lebensenergie gebunden, was zugleich die Grundlage für den unausgesprochenen Konsens des Ehepaares gewesen war, aus Schattenseiten ihrer Geschichte kein Problem zu machen.
Ilona rief es sich ausdrücklich ins
Weitere Kostenlose Bücher