Wo die coolen Kerle wohnen
Auch bei Männern lässt die Hormonproduktion nach, und das merken die meisten auch.«
»Ja und wie, bitte schön?«
»Nachlassen der Kräfte, depressive Verstimmung, Schweißausbrüche, der Drang, nochmal was ganz Neues anzufangen.«
Vincent O. ist aufmerksam geworden. »Und ich dachte, das Schwitzen kommt vom Bier!« Dann tippt er sich an die Schläfe: »Passiert das dann eher im Kopf oder im Körper?«
Gute Frage. Darüber streiten sich Mediziner, Soziologen und Psychologen schon lange: Was kommt von was? Wer oder was stößt die vielfältigen Veränderungen in der Lebensmitte an? Wirkt der Kopf auf den Körper? Die Psyche auf die Physis? Oder ist es umgekehrt? Lösen biologische Prozesse die seelische Irritation aus? Oder sind es die sozialen Bedingungen, Beruf, Familie, gesellschaftliches Umfeld, Lifestyle, die den Mann ab vierzig häufig aus der Bahn werfen?
In welcher Richtung nach den Ursachen geforscht wird und welche Sichtweise dabei gerade favorisiert wird, hängt von gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Interessen ab. Je nachdem werden dann Forschungsgelder für die entsprechenden Wissenschaftszweige bereitgestellt. Jede Zeit hat ihre medizinischen Modethemen und ihre Lieblingsstoßrichtung. In den letzten Jahren liegt der biologische Blickwinkel auf die Lebensmitte der Männer im Trend, was heißt: Die medizinische Forschung ist auf der Suche nach körperlichen Auslösern, und die Erforschung der männlichen Hormone, der Androgene, hat noch einmal enorm Fahrt aufgenommen. Vor allem das Männerhormon schlechthin, das Testosteron, haben die Mediziner im Visier.
»Dass das wissenschaftliche Augenmerk derzeit auf die Männer in der Lebensmitte gerichtet ist, hängt auch damit zusammen, dass zurzeit die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber allen Aspekten von Alter und Geschlecht erhöht ist«, erklärt der Bonner Medizinhistoriker Hans-Georg Hofer, selbst Jahrgang 1971. »Dabei geht es um die Frage von Lebensqualität im mittleren Alter, so um die 50 herum, in dem die zahlenmäßig große Generation der männlichen Baby-Boomer gerade steht.«
Während nämlich die weiblichen Wechseljahre schon ziemlich gut erforscht sind, hinken die Kenntnisse über die männlichen noch hinterher. 2010 hat Hofer das in seiner Habilitationsschrift, »Medizin, Altern, Männlichkeit: Eine Medizin- und Wissenschaftsgeschichte des männlichen Klimakteriums«, dargelegt.
Die Vorstellung, dass Männer Wechseljahre haben, war allerdings schon unter den Ärzten der Antike verbreitet, berichtet er. Sie teilten den menschlichen Lebensweg in Stufen ein. Das griechische Wort klimaktér , aus dem sich unser Begriff Klimakterium ableitet, bedeutet Stufenleiter oder kritischer Zeitpunkt im Leben. »Sie sprachen von anni climacterici ,von klimakterischen Jahren, die Wendepunkte seines Lebens markierten; sie galten als Jahre des plötzlichen Auftretens von Krankheiten und der verstärkten Gefahren für Körper und Gemüt. Und ihnen eilte der Ruf voraus, androklas , männerzerbrechend zu wirken.«
Diese Vorstellungen hielten sich lange und waren noch in der frühen Neuzeit weit verbreitet. Im 17. Jahrhundert gratulierten sich Männer offiziell zum überstandenen annus climactericus , dem – sieben mal sieben – 49. Lebensjahr, das als besonders gefährlich galt. Übertroffen nur noch vom annus climactericus maximus , dem 63. Lebensjahr.
Um 1900 stellten dann Ärzte direkte Vergleiche zwischen den Beschwerden alternder Männer und den Symptomen an, unter denen Frauen während ihres Klimakteriums litten. »Zuvor hatte man in der gynäkologischen Forschung die Existenz von Hormonen entdeckt und diese als chemische Botenstoffe des Körpers beschrieben. In der Gynäkologie setzte sich daraufhin die Erkenntnis durch, dass die Wechseljahre der Frau durch Veränderung in ihrem Hormonhaushalt ausgelöst werden«, erklärt der Historiker. »Damit wurde zugleich ein Phänomen des Frauenlebens durch die Medizin vereinnahmt.« Umso mehr, als das weibliche Klimakterium, an dessen Ende die Menopause (wörtlich: Ende der monatlichen Blutungen) steht, zur »Hormon-Mangel-Erkrankung« erklärt wurde. Ein natürlicher Lebensprozess wurde damit pathologisiert, das heißt als Krankheit definiert.
Untersuchungen zu vergleichbaren klimakterischen Vorgängen im männlichen Körper, die bis etwa 1930 durchaus angestellt wurden, versandeten wieder. Der Fokus der medizinischen Forschung blieb auf die weiblichen »Krankheiten« fixiert. Was
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