Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht
ist auch sehr stolz auf mich, weil ich klug bin und stets die besten Noten in meiner Klasse ’abe. Sie ’at gehofft, dass ich eines Tages eine gute Stellung finden und nicht so ’art würde arbeiten müssen wie sie.«
Auf einmal war Yvette wieder zwölf Jahre alt, und es war September 1939. Sie konnte sich selbst sehen, wie sie mit ihrer Freundin Françoise von der Schule nach Hause kam, zwei magere Mädchen mit olivfarbener Haut, dunklem Haar und ebenso dunklen Augen. Sie trugen schwarze Wollstrümpfe, die ihnen über die Knöchel rutschten, und ihre langen Zöpfe wippten auf und ab, wenn sie über die Ritzen im Pflaster hüpften. Die Leute hielten sie immer für Zwillinge, weil sie einander so ähnlich waren, aber Yvette fand, dass Françoise hübscher war als sie selbst; sie hatte Grübchen in den Wangen und perfekt geformte Lippen.
In der Schule sprach ihre Lehrerin ständig über den Krieg, der soeben begonnen hatte, und sie hängte Karten auf, um ihnen zu zeigen, welchen Weg die Deutschen durch Polen nahmen, doch diese Dinge sagten Yvette und Françoise wenig, denn Polen war so weit entfernt von Paris, und keines der beiden Mädchen hatte einen Vater, der in den Krieg ziehen musste.
Vor allem waren Yvette aus jener Zeit jedoch die Lebensmittel in den Läden in Erinnerung geblieben und die Gerüche, die damit einhergingen. Vielleicht waren diese Dinge ihr nur deshalb im Gedächtnis haften geblieben, weil dies für viele Jahre die letzte Zeit sein sollte, in der sie solchen Überfluss zu sehen bekam. Rosig polierte Äpfel waren zu hohen Stapeln übereinander gelegt, üppige, purpurfarbene Trauben ergossen sich aus Kartons, und daneben lagen Pfirsiche, Möhren und leuchtend rote Tomaten. Der Anblick von frisch gebackenem Brot und Croissants lockte ebenso wie der Duft von dutzenden verschiedener Käsesorten und Pasteten. Und es gab so viele Herbstblumen, Messingkübel voller Chrysanthemen, Dahlien und Margeriten.
»Es war Françoise, von der ich zum ersten Mal ’örte, dass die Nazis keine Juden mochten«, fuhr Yvette fort. »Sie ’atte Verwandte in Berlin, und sie ’atten ihrer Mutter geschrieben, dass sie versuchten, von dort wegzukommen, da die Juden in der Stadt angegriffen und ihre Geschäfte beschlagnahmt wurden. Aber Françoise und ich, wir betrachteten uns nicht wirklich als Juden. Unsere Mütter gingen nicht in die Synagoge, und sie ’ielten auch keine der alten Traditionen ein. In unseren Augen waren wir einfach Französinnen, und was immer in Deutschland geschah, ’atte nichts mit uns zu tun.
Aber im Frühling 1940 konnte ich spüren, dass Mama schlimmere Sorgen plagten als die nächste Miete und die Frage, ob der Krieg dazu führen würde, dass ihre Damen keine neuen Kleider mehr in Auftrag geben würden. Eines Tages ’abe ich sie danach gefragt, und sie ’at mir erzählt, dass sie Angst um uns ’ätte.«
Yvette konnte sich gut an ihre widersprüchlichen Gefühle erinnern, als die Deutschen Frankreich immer näher rückten. Es lag eine Art primitiver Erregung in der Luft, so viele Männer in Uniform streiften in Paris umher, und an allen Ecken der Stadt konnte man Geschichten von Heldentaten hören. Für sie und Françoise war es beinahe so, als warteten sie auf Weihnachten, sie waren erfüllt von Hoffnung und einer seltsamen Vorfreude, doch da ihre Mütter beide arm und sie an Enttäuschungen gewöhnt waren, verspürten sie auch eine leichte Furcht.
Die Zahl der Kriegsopfer wuchs bereits, und die älteren Leute erzählten Geschichten von jungen Männern in ihren Familien, die in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs gestorben waren. Viele Menschen heirateten in aller Eile und ohne die gewohnten Zeremonien und Traditionen. Junge Frauen, die bis dahin der Inbegriff der Schicklichkeit gewesen waren, zeigten sich mit ihren Freunden in der Öffentlichkeit und tauschten leidenschaftliche Küsse mit ihnen. Am Sonntag waren die Kirchen bis auf den letzten Platz besetzt, und während die Tage länger wurden, blieben die Menschen draußen auf den Straßen; vielleicht taten sie das nur, um über den Krieg zu reden, aber für zwei junge Mädchen hatte das Paris jener Zeit eine beinahe ausgelassene Atmosphäre.
Manchmal gingen Yvette und Françoise zum Gare du Nord, um die Züge zu beobachten, mit denen die Truppen abreisten. Sie waren zu jung, um die Tränen der Liebespaare zu verstehen, wenn sie sich aneinanderklammerten, aber doch alt genug, um an diesem berauschenden Drama selbst
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