Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht
auch Abwässern. Madame Chevioux, die Witwe, die im Erdgeschoss zur Straße hin lebte, hatte die größte Wohnung, und das ließ sie die anderen Mieter auch spüren, denn sie war mit dem Besitzer verwandt und trieb die Mieten ein.
Madame Chevioux war auch der Grund, warum die Mieter kamen und gingen, aber Yvette und ihre Mutter lebten, seit Yvette ein Baby war, im obersten Stockwerk unter dem Dach. Mama schenkte der Tyrannin aus dem Erdgeschoss stets ein liebenswürdiges Lächeln. Jede Woche schrubbte sie die Treppen bis ganz nach unten, sie putzte in jedem Stockwerk das Badezimmer und nähte Madame bisweilen einen Rock oder eine Bluse ohne Entgelt, nur um sicherzustellen, dass man sie nicht auf die Straße setzte. Yvette war hundert Mal oder öfter gewarnt worden, der Frau gegenüber niemals frech oder unhöflich zu sein, denn billige Wohnungen waren schwer zu bekommen.
Als Yvette an jenem Tag die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, blickte Mama von ihrer Arbeit am Tisch auf.
»Ich habe gute Neuigkeiten für dich«, meinte sie.
Mama war ein zierliches Persönchen und sehr klein; selbst mit ihren dreizehn Jahren war Yvette bereits ein wenig größer als sie. Françoise hatte einmal gesagt, ihre Mutter wirke wie verblasst, obwohl das Yvette bis dahin gar nicht aufgefallen war. Aber sie hatte Recht; Mama war von der üppigen Schönheit mit dem rabenschwarzen Haar und den Rehaugen, die Yvette auf der Fotografie auf der Kommode oft bewunderte, zu einem Schatten ihrer selbst geworden. Jetzt hatten sich ihre schmalen Schultern gerundet von den vielen Stunden, die sie über ihre Nähmaschine gebeugt dagesessen hatte, und ihr Haar war eher grau als rabenschwarz. Selbst ihre Augen waren verblichen; sie wirkten milchig wie Schokolade, die man zu lange liegen gelassen hatte. Sie war fünfunddreißig, was Yvette sehr alt vorkam, und ihr Gesicht, das zwar noch keine Falten aufwies, hatte einen gelblichen Ton angenommen.
»Wir fahren irgendwohin!«, rief Yvette überglücklich, denn neben den Kleidern auf dem Tisch lag eine Reisetasche.
»Du fährst allein, mein Liebling«, antwortete Mama. »Ich habe einen sicheren Ort für dich gefunden, bis die Deutschen wieder weg sind.«
»Aber ich kann ohne dich nirgendwo hinfahren«, protestierte Yvette, deren Freude bei der Aussicht auf eine Reise sich in nichts aufgelöst hatte. »Warum kannst du nicht auch mitkommen?«
»Weil du ohne mich sicherer sein wirst, außerdem habe ich meine Arbeit hier.«
Mama schlug nur selten diesen energischen Tonfall an, doch wenn sie es tat, wusste Yvette, dass sie keine Einwände erheben durfte.
»Wo werde ich denn hinfahren?«, fragte sie.
»In eine Stadt auf dem Land. Du wirst reichlich zu essen und frische Luft haben, und es wird ein gutes Leben sein. Ich werde dich holen kommen, so bald ich kann.«
»Reise ich denn schon bald ab?«, wollte Yvette wissen.
»In zwei Stunden«, sagte Mama. »Wir werden zum Markt hinuntergehen, und dort wird man dich abholen. Ich möchte nicht, dass Madame Chevioux erfährt, dass du verreist. Ich vertraue ihr nicht.«
Yvette hielt in ihrer Geschichte inne, und Fifi bemerkte, dass sie leise weinte.
»War das das letzte Mal, dass du deine Mutter gesehen hast?«
»Ja«, antwortete Yvette, und ihre Stimme klang schroff vor Erregung. »Aber ich wusste, dass ich sie und die Wohnung niemals wiederse’en würde, das denke ich ’eute in meinem ’erzen, denn während ich etwas Brot und Käse aß und ein Glas Milch trank, ’atte ich das Gefühl, als würde ich jede noch so kleine Einzel’eit in mich aufsaugen.
Ich kann alles noch immer so deutlich vor mir se’en, den ’ölzernen Boden, den Mama mit Tünche gestrichen ’atte, die Flickenteppiche, die sie genäht ’atte, und ihre alte Nähmaschine. Es war im Grunde nur ein einziger großer Raum; wir ’atten ein Bett hinter einem Vor’ang ste’en, und der Tisch war so riesig, dass Mama dort ihre Kleider zuschneiden konnte. Wir ’atten eine Art Sideboard unter dem Fenster, und darauf lag ein Kissen, auf dem man sitzen konnte. Wenn die Sonne schien, lag ich dort wie eine Katze zusammengerollt. Und ich ’abe die Menschen unten auf der Straße beobachtet und über die Dächer zu der Kuppel von Sacré Cœur geschaut. Vielleicht war die Wohnung sehr schäbig, doch ich ’abe sie nie so gese’en.«
Nach einer Weile sprach Yvette weiter und erzählte Fifi, dass sie und ihre Mama zur verabredeten Zeit auf dem Markt von Madame und Monsieur Richelieu empfangen worden
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