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Wo die Liebe beginnt

Wo die Liebe beginnt

Titel: Wo die Liebe beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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legt sich ihre langen, dunkelblonden Strähnen hinter die Ohren, die ein bisschen groß geraten sind oder zumindest in einem unglücklichen Winkel vom Kopf abstehen. Das gleiche Problem habe ich auch. Dann blickt sie auf ihre abgewetzten schwarzen Stiefel. Als sie wieder aufschaut, bemerke ich ihre Augenfarbe: blaugrau mit schwarzem Rand – und da weiß ich ganz genau, wer sie ist und warum sie gekommen ist.
    Â»Bist du …?« Ich will den Satz beenden, kriege aber kein weiteres Wort heraus.
    Ihr Kinn zittert, sie nickt zaghaft und wischt sich die Handflächen an der Jeans ab, die am linken Knie schon fast durchgescheuert ist.
    Wie erstarrt stehe ich da und warte auf die Worte, die ich mir vorgestellt und die ich gefürchtet habe, die durch meinen Kopf und meine Träume gegeistert sind – seit achtzehn Jahren. Und dann, gerade als ich glaube, mein rasendes Herz würde explodieren, höre ich sie schließlich sagen: »Ich glaube, Sie sind meine Mutter.«

2 – 1 4. Juli 1 995
    Es war der heißeste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Chicago. Das Thermometer zeigte vierzig Grad Celsius, aber die gefühlte Temperatur lag bei knapp fünfzig. Noch heute, fast zwei Jahrzehnte später, hat dieser Rekord Bestand. Die Hitzewelle war Gesprächsthema Nummer eins. Siebenhundertfünzig Menschen starben. Das Wetter machte größere Schlagzeilen als die Sanktionen gegen den Iran, der Krieg in Bosnien und der letzte Auftritt der Grateful Dead auf dem Soldier Field – wenigstens auf B96 , meinem Lieblingsradiosender, als ich achtzehn war.
    An diesem glühend heißen Morgen lag ich an unserem Pool. Ich trug meinen neuen weißen Stringbikini, den ich mir aus dem Katalog von Victoria’s Secret bestellt hatte, und hörte die »Kevin & JoBo«-Show. Die beiden plauderten darüber, was die Hitze mit den Leuten anstellte: Sie verliebten sich, begingen Verbrechen oder rannten nackt durch die Straßen. Die beiden Moderatoren machten natürlich Witze, das ist man im Radio ja so gewohnt, aber im Rückblick glaube ich tatsächlich, dass die Hitze wenigstens teilweise schuld an dem war, was später an diesem Tag im Haus meiner Freundin Janie passierte. Mit Sicherheit wäre alles anders gekommen, wenn es Frühjahr oder Herbst oder einfach nur ein ganz normaler Sommertag gewesen wäre.
    Es kamen natürlich noch andere Faktoren hinzu. Zum Beispiel der Alkohol. Ich hätte einfach nicht vier Gläser »Boone’s Farm« (Geschmacksrichtung Erdbeer) auf nüchternen Magen trinken dürfen. Außerdem war da diese Aufbruchstimmung: Die Highschool lag gerade hinter mir, mein ganzes Leben noch vor mir, und meine Heimatstadt ödete mich an. Natürlich spielte auch der Zufall eine Rolle. Und schließlich die letzte Zutat: Conrad Knight selbst.
    Genau genommen war Conrad eigentlich nicht mein Typ, aber alle himmelten ihn an. Auch ich war nicht ganz immun gegen seine verführerischen blaugrauen Augen, sein dunkles Haar (das gerade die richtige Länge hatte) und seine Wangenknochen, die Janie als »genial« bezeichnete – lange bevor das Wort so abgedroschen war. Er wirkte mysteriös und ein bisschen gefährlich, genau so wollten viele Jugendliche damals sein. Aber nur Conrad gelang es, dieses Image scheinbar mühelos zu verkörpern. Er hatte ein Tattoo auf dem Unterarm (man munkelte, es wären die Initialen seiner Mutter und das Datum, an dem sie bei einem Autounfall umgekommen war). Er rauchte selbst gedrehte Zigaretten, fuhr einen alten schwarzen Mustang und sang in einer Grunge-Band in der Innenstadt. Ein paar Mädchen, die sich mit gefälschten Ausweisen in ein Konzert der Band gemogelt hatten, behaupteten, er klinge wie Eddie Vedder und würde eines Tages berühmt werden. Conrads Vater, ein Schauspieler, der in einer abgesetzten Soap sowie einer aktuellen Magenmittel-Werbung zu sehen war, fuhr immer wieder nach L. A., um an Castings teilzunehmen. Seinen Sohn nahm er mit, deshalb war Conrad oft länger weg aus Chicago und fehlte in der Schule. Aber obwohl er keine besonders guten Noten hatte, wirkte er klug und irgendwie weltgewandt – jedenfalls schien die soziale Hackordnung an der Highschool für ihn nicht zu gelten, was ihm diesen Anstrich von Kultiviertheit verlieh. Kurz, er war ganz anders als die kumpelhaften Typen, mit denen ich bis dahin ausgegangen war – und übrigens auch ganz

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