Wo die Liebe beginnt
ich. Mir kam der Gedanke, dass er den Fragebogen fürs Jahrbuch sicher gar nicht erst ausgefüllt hatte, bis mir die drei Worte einfielen, die er als Antwort gegeben hatte: Ich hau ab .
Ich wollte von ihm wissen, was er damit meinte, und er antwortete: »Ich will einfach nur weg von hier. Das ist alles.«
»Andere Pläne hast du nicht?« Ich spielte natürlich aufs College an. Aufs College zu gehen war für mich und meine Freunde einfach selbstverständlich.
»Nee«, sagte er und trank seine Dr Pepper aus. Dann zerquetschte er die Dose mit einer Hand und warf sie in einen zwei Meter entfernten Abfalleimer. »Das heiÃt, ich würde dich gern küssen heute Abend. Und morgen vermutlich auch. Und wenn du nicht aufpasst, vielleicht sogar übermorgen.«
Ich spürte, dass ich zitterte, obwohl mir der Schweià über den Rücken lief, und ich wusste, dass ich ihn nicht daran hindern würde, mich zu küssen. Besser gesagt, ich gestand mir ein, dass ich ihm einfach nicht widerstehen konnte. Aber ich tat so, als hätte ich alles total unter Kontrolle, und griff mir in den langen, blonden Pferdeschwanz. Bei mir hatte die Luftfeuchtigkeit den gegenteiligen Effekt: Meine Haare waren jetzt glatt und hingen strähnig herunter. »Wie kommst du denn auf so eine Idee?«, fragte ich. Mein Herz klopfte, aber ich warf ihm einen neckischen Blick zu.
»Weil du mir gefällst.«
Das war ein kindischer Satz, aber aus seinem Mund klang er erwachsen.
»Seit wann?« Meine Stimme war fest â im Gegensatz zu meinen Knien.
»Schon immer. Vom ersten Tag an.« Das sagte er ganz lapidar, als teilte er mir die Uhrzeit oder die Temperatur mit â die sich wahrscheinlich noch immer um die vierzig Grad bewegte. Der Einbruch der Dunkelheit hatte keine Erleichterung von der quälenden Hitze gebracht. Conrad lieà die vergangenen vier Jahre im Zeitraffer Revue passieren, wie um jeden Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit zu zerstreuen. Er erinnerte sich an alles: den Standort meines Spinds während der letzten vier Jahre; die Narbe auf meinem linken Knie, die er immer betrachtet hatte, wenn ich einen Rock trug; das lila Kleid, das ich zum jährlichen Schulball angehabt hatte, komplett mit passend eingefärbten Seidenpumps.
»Dass du mal bei einem Schulball gewesen bist, ist mir ganz neu«, japste ich.
»War ich ja auch nicht. Ich hab das Foto im Spind von diesem Typen gesehen.«
Ich starrte ihn an und dachte daran, wie ich das Foto in den Spind meines Freundes geklebt hatte, direkt über Rebecca Romijn und Angie Everhart, die sich für die Titelseite der Sports Illustrated am Strand räkelten. »Todd«, präzisierte ich.
»Ja, bei dem«, sagte er und verdrehte die Augen.
»Wir haben uns getrennt«, erklärte ich.
»Weià ich. War auch Zeit.«
»Was ist denn mit deiner Freundin?«
»Wir haben uns auch getrennt«, sagte er. »Was für ein Zufall.«
Er ging einen Schritt auf mich zu, und wir fingen an, langsam zu Sade zu tanzen. Ich spürte seine Hand auf meinem Rücken und seinen Atem in meinem Ohr. Eine Haschwolke wehte in unsere Richtung. Ein paar Minuten später gingen wir unter den neugierigen Blicken der anderen Partygäste ins Haus. Wir fläzten uns auf das Tweed-Sofa im Wohnzimmer von Janies Eltern. Neben uns bewegten sich viele schweiÃnasse Körper, und wir redeten über eine Stunde lang über unwichtige Sachen â die sich aber trotzdem wichtig anfühlten. Zwischen uns floss eine Art elektrischer Strom; wir erlebten etwas Aufregendes, Neues, fühlten uns aber gleichzeitig sehr vertraut mit einander â schlieÃlich waren wir sozusagen zusammen aufgewachsen, hatten uns jeden Tag im Schulflur gesehen. Ich fragte mich, wieso wir nicht schon vorher miteinander geredet hatten â und wusste die Antwort doch genau.
»Lass uns ein ruhigeres Plätzchen suchen«, sagte er, als eine Pause in der Unterhaltung entstand.
Ich nickte, führte ihn in die Eingangshalle und die Treppe hinauf, dann über den Flur zum Schlafzimmer von Janies Eltern. Das Schild »Zutritt verboten!!!«, das Janie an die Tür geklebt hatte, ignorierten wir. Keiner von uns beiden sagte etwas. Nervös und doch entschlossen sperrten wir die Tür hinter uns ab, küssten uns, schälten uns aus unseren Kleidern und krabbelten unter die Decke des riesigen Himmelbettes. Irgendwann tastete er
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