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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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sich ein paar unbelaubte Bäume erhoben und die Überreste eines Beetes mit Sommerblumen dahinwelkten. Wir erstiegen eine breite Freitreppe und wurden oben von livrierten Dienern empfangen, von denen einer uns in die Privatgemächer der Gräfin führte: einen einladenden Raum mit großen Südfenstern und freiem Blick auf den Fluss. Es war derselbe Themseabschnitt, den man auch von Blackfriars aus sah.
    Trotz des ähnlichen Ausblicks hatte dieser luftige, helle Salon nichts mit unseren Räumen gemein. Zwar waren unsere Zimmer auch groß und elegant eingerichtet, aber in Baynard’s Castle lebten Adlige, und das war dem Schloss anzusehen. Weiche, gepolsterte Kanapees flankierten den Kamin, und die dazugehörigen Sessel waren so tief, dass eine Frau mitsamt all ihrer Röcke darin versinken konnte. Wandteppiche belebten die Steinmauern mit prächtigen Farben und mythologischen Szenen aus der Antike. Zudem deutete manches darauf hin, dass hier ein gelehrter Geist wohnte. Bücher, Teile antiker Statuen, Naturobjekte, Bilder, Karten und allerlei Kuriositäten bedeckten die Tische.
    »Master Roydon?« Ein Mann mit Spitzbart und dunklem, grau meliertem Haar erhob sich. In der einen Hand hielt er ein kleines Brett, in der anderen einen schmalen Pinsel.
    »Hilliard!«, verkündete Matthew mit offensichtlicher Begeisterung. »Was bringt Euch hierher?«
    »Ein Auftrag von Lady Pembroke.« Der Mann schwenkte seine Palette. »Ich muss auf dieser Miniatur noch ein paar letzte Akzente setzen. Sie wünscht sie sich als Neujahrsgeschenk.« Seine braunen Augen betrachteten mich eingehend.
    »Ich vergaß, Ihr kennt meine Gemahlin noch nicht. Diana, dies ist Nicholas Hilliard, der Miniaturist.«
    »Ich fühle mich geehrt«, sagte ich und knickste. In London lebten weit über hunderttausend Menschen. Wieso musste Matthew jeden kennen, den die Historiker eines Tages für erinnerungswürdig halten würden? »Ich kenne und bewundere Eure Arbeiten.«
    »Sie hat das Porträt Sir Walters gesehen, das Ihr letztes Jahr für mich angefertigt habt«, machte Matthew meinen Patzer wett.
    »Eines seiner besten Stücke, wie ich finde«, sagte Henry und blickte dem Künstler dabei über die Schulter. »Dieses hier macht ihm allerdings Konkurrenz. Wie gut Mary getroffen ist, Hilliard. Ihr habt wahrhaftig die Intensität ihres Blicks einfangen können.« Hilliard wirkte geschmeichelt.
    Ein Diener erschien mit Wein, und Henry, Matthew und Hilliard unterhielten sich gedämpft, während ich ein in Gold gefasstes Straußenei sowie eine Nautilusschnecke auf einem Silberständer in Augenschein nahm, die sich auf einem Tisch befanden, umgeben von unschätzbar wertvollen mathematischen Instrumenten, die ich nicht zu berühren wagte.
    »Matt!« Die Countess of Pembroke stand in der Tür und wischte sich an einem Taschentuch, das ihr eilig eine Zofe gereicht hatte, die tintenfleckigen Finger ab. Ich fragte mich, warum sie sich überhaupt die Mühe machte, schließlich war das taubengraue Kleid mit Flecken übersät und außerdem stellenweise angesengt. Doch gleich darauf schälte sich die Countess das schlichte Gewand von ihrem Leib und entblößte darunter ein deutlich eleganteres Ensemble aus Samt und Taft in einem tiefen Pflaumenblau. Als sie ihrer Dienerin das vormoderne Äquivalent eines Laborkittels reichte, stieg mir ein Hauch von Schwarzpulver in die Nase. Die Countess schob eine straffe blonde Locke hinter ihr rechtes Ohr. Sie war groß und gertenschlank, hatte sahneweiße Haut und tiefliegende braune Augen.
    Sie streckte begrüßend die Arme vor. »Mein lieber Freund. Ich habe Euch seit Jahren nicht gesehen, seit dem Tode meines Bruders Philip, um genau zu sein.«
    »Mary.« Matthew beugte sich über ihre Hand. »Ihr seht gut aus.«
    »Wie Ihr wisst, bekommt mir London nicht, doch ist es inzwischen Tradition, dass wir zu den Geburtstagsfeiern der Königin anreisen, und diesmal bin ich länger geblieben. Ich arbeite an Philips Psalmen und einigen anderen Herzensprojekten, darum macht mir die Stadt diesmal nicht so viel aus. Zudem gibt es Trost, wie zum Beispiel den, alte Freunde zu sehen.« Mary trällerte fröhlich dahin, doch hinter dem Geplauder ahnte ich einen messerscharfen Verstand.
    »Ihr seht wahrhaftig aus wie das blühende Leben«, fügte Henry seine Lobpreisung der von Matthew hinzu, während er die Countess wohlwollend betrachtete.
    Marys braune Augen richteten sich auf mich. »Und wer ist das?«
    »Die Freude, Euch wiederzusehen, hat mich meine

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