Wo die Nacht beginnt
Manieren vergessen lassen. Lady Pembroke, dies ist meine Gemahlin Diana. Wir haben kürzlich geheiratet.«
»Mylady.« Ich absolvierte einen tiefen Knicks vor der Countess. Marys Schuhe waren bedeckt mit phantastischen Stickereien in Silber und Gold, die auf den Garten Eden anspielten und Schlangen, Äpfel und Insekten darstellten. Sie mussten ein Vermögen gekostet haben.
»Mistress Roydon«, sagte sie, und ihre Augen funkelten fröhlich. »Nachdem das geklärt ist, wollen wir es doch schlicht bei Mary und Diana belassen. Henry hat mir erzählt, Ihr studiert die Alchemie.«
»Ich lese über Alchemie, Mylady«, korrigierte ich. »Mehr nicht. Lord Northumberland ist zu großzügig.«
Matthew nahm meine Hand. »Und du bist zu bescheiden. Sie weiß ungeheuer viel darüber, Mary. Nachdem Diana neu in London ist, dachte Hal, Ihr könntet ihr vielleicht helfen, sich in der Stadt zurechtzufinden.«
»Mit Vergnügen«, erklärte die Countess of Pembroke. »Kommt, setzen wir uns ans Fenster. Master Hilliard braucht möglichst viel Licht für seine Arbeit. Während er mein Porträt fertigstellt, werdet Ihr mir erzählen, was es Neues gibt. Im Königreich geschieht nur wenig, das Matthew nicht weiß und zu deuten versteht, Diana.«
Nachdem wir uns gesetzt hatten, tauchte ihre Zofe mit einem Teller kandierter Früchte wieder auf.
»Ooh!« Henry wackelte glückselig mit den Fingern über den gelben, grünen und orangefarbenen Stückchen. »Konfekt! Ihr macht es wie sonst niemand.«
»Und ich werde mein Geheimnis mit Diana teilen«, erklärte Mary stolz. »Natürlich werde ich, sobald sie erst mein Rezept hat, nie wieder in den Genuss von Henrys Gesellschaft kommen.«
»Nun, Mary, Ihr geht zu weit«, protestierte er, auf einem Stück kandierter Orangenschale kauend.
»Ist Euer Ehemann auch hier, Mary, oder halten ihn die Geschäfte der Königin in Wales fest?«, wollte Matthew wissen.
»Der Earl of Pembroke hat Milford Haven vor einigen Tagen verlassen, wird aber nicht hierher, sondern an den Hof reisen. Ich habe William und Philip zu meiner Gesellschaft hier, aber auch wir werden nicht mehr lange in der Stadt weilen, sondern nach Ramsbury fahren. Dort ist die Luft gesünder.« Sie wirkte plötzlich traurig.
Marys Worte erinnerten mich an die Statue von William Herbert vor der Bodleian Library. Der Mann, den ich Tag für Tag auf dem Weg zum Lesesaal passiert hatte, war einer der größten Stifter der Bibliothek und der jüngste Sohn dieser Frau. »Wie alt sind Eure Kinder?«, erkundigte ich mich und hoffte im selben Moment, dass diese Frage nicht allzu persönlich war.
Das Gesicht der Countess wurde weich. »William ist zehn und Philip gerade sechs geworden. Meine Tochter Anne ist sieben, aber sie lag im vergangenen Monat krank zu Bett, darum meinte mein Mann, sie solle in Wilton bleiben.«
»Es ist doch nichts Ernstes?«, fragte Matthew besorgt.
Wieder zog ein Schatten über das Gesicht der Frau. »Jede Krankheit, die meine Kinder schlägt, ist ernst«, antwortete sie leise.
»Verzeiht, Mary, ich sprach unbedacht. Ich wollte nur jede Hilfe anbieten, die ich geben kann.« In der Antwort meines Mannes lag tiefes Bedauern. Das Gespräch berührte offenbar eine gemeinsame Vergangenheit, von der ich nichts ahnte.
»Ihr habt meine Lieben bereits mehr als einmal vor Schaden bewahrt. Das habe ich Euch nicht vergessen, Matthew, und ich würde Euch notfalls wieder um Hilfe bitten. Aber Anne litt nur an einer Kinderkrankheit. Die Ärzte versichern mir, dass sie sich erholen wird.« Mary wandte sich an mich. »Habt Ihr Kinder, Diana?«
»Noch nicht.« Ich schüttelte den Kopf. Der Blick aus Matthews grauen Augen streifte mich und richtete sich dann wieder auf Mary. Ich zupfte nervös am Saum meiner Jacke.
»Dies ist Dianas erste Ehe«, erklärte Matthew.
»Die erste?« Die Countess of Pembroke sah mich verblüfft an und öffnete den Mund, um mich weiter zu befragen. Matthew kam ihr mit einer Erklärung zuvor.
»Ihre Eltern starben, als sie noch klein war. Es gab niemanden, der eine Ehe arrangiert hätte.«
Mary bekam noch mehr Mitleid mit mir. »Wie traurig, dass das Leben eines jungen Mädchens derart von den Launen ihrer Vormunde abhängt.«
»Wahrhaftig.« Matthew sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Ich konnte mir ausmalen, was er dachte: Ich war beklagenswert unabhängig, und Sarah und Em waren die am wenigsten launischsten Geschöpfe auf der Welt.
Das Gespräch begann sich um Politik und aktuelle Ereignisse
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