Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
Vom Netzwerk:
zu drehen. Eine Weile hörte ich aufmerksam zu und versuchte meine spärlichen Erinnerungen an längst vergangene Geschichtsstunden mit dem komplizierten Klatsch abzugleichen, den die drei anderen austauschten. Man sprach von Krieg, einer möglichen spanischen Invasion, katholischen Sympathisanten und den religiösen Spannungen in Frankreich, aber die Namen und Orte sagten mir meist nichts. Darum entspannte ich mich in der Wärme von Marys Salon und ließ, von dem leisen Geplauder getragen, meine Gedanken wandern.
    »Ich bin fertig, Lady Pembroke. Mein Diener Isaac wird die Miniatur Ende der Woche liefern«, verkündete Hilliard und packte seine Sachen zusammen.
    »Ich danke Euch, Master Hilliard.« Als ihm die Countess die Hand reichte, glitzerten die Juwelen ihrer vielen Ringe. Hilliard küsste sie, nickte Henry und Matthew zu und verschwand.
    »Was für ein talentierter Mann«, sagte Mary und rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Mittlerweile ist er so beliebt, dass ich mich glücklich schätzen kann, mir seine Dienste gesichert zu haben.« Ihre Schuhe funkelten im Flammenschein, und ich fragte mich gedankenverloren, wer das komplizierte Muster wohl entworfen hatte. Am liebsten hätte ich sie gebeten, die Stickereien berühren zu dürfen. Champier hatte mit seinen Fingern in meinem Fleisch lesen können. Konnte ein unbelebtes Objekt ähnlich viele Informationen liefern?
    Obwohl meine Finger nicht einmal in der Nähe der gräflichen Schuhe waren, tauchte in meinem Geist das Gesicht einer jungen Frau auf. Sie beugte sich über ein Papier mit dem Entwurf für Marys Schuhe. Winzige Löcher in der Zeichnung erklärten, wie die komplizierten Stiche aufs Leder übertragen worden waren. Ich konzentrierte mich auf die Zeichnung und trat im Geist ein paar Schritte zurück in die Vergangenheit. Jetzt sah ich Mary neben einem streng aussehenden Mann mit energischem Kinn sitzen und einen Tisch voller Insekten und Pflanzen studieren. Beide unterhielten sich äußerst angeregt über einen Grashüpfer, und als der Mann ihn detailliert zu beschreiben begann, griff Mary zum Stift und zeichnete seine Umrisse.
    Mary interessiert sich also nicht nur für Alchemie, sondern auch für Pflanzen und Insekten, dachte ich und suchte auf ihren Schuhen nach dem Grashüpfer. Da saß er, direkt am Absatz. So lebensecht. Und die Biene am rechten Zeh sah aus, als würde sie jeden Moment losfliegen.
    Ein leises Summen stieg mir in die Ohren, und im nächsten Moment löste sich die silbern-schwarze Biene vom Schuh der Countess und stieg in die Luft auf.
    »O nein«, hauchte ich.
    »Was für eine eigenartige Biene«, kommentierte Henry und schlug danach, als sie an ihm vorbeiflog.
    Aber ich fixierte stattdessen die Schlange, die gerade von Marys Fuß glitt. »Matthew!«
    Er schoss vor und hob die Schlange am Schwanz in die Luft. Sie streckte die gespaltene Zunge vor und beschwerte sich zischend über die grobe Behandlung. Mit einer knappen Handbewegung schleuderte er das Tier in die Flammen, wo es sogleich Feuer fing.
    »Ich wollte nicht …« Mir versagte die Stimme.
    »Schon gut, mon cœur . Du kannst nichts dafür.« Matthew berührte meine Wange und sah dann die Countess an, die mit großen Augen auf ihre entstellten Slipper starrte. »Wir brauchen eine Hexe, Mary. Und es ist recht dringend.«
    »Ich kenne keine Hexen«, erwiderte die Countess of Pembroke, ohne zu überlegen.
    Matthew zog die Brauen hoch.
    »Keine, die ich Eurer Frau vorstellen würde. Ihr wisst, dass ich äußerst ungern über derlei Dinge spreche, Matthew. Als Philip wohlbehalten aus Paris zurückkehrte, erklärte er mir, was Ihr seid. Damals war ich noch ein Kind, und ich hielt das für eine Fabel. Und so will ich es weiter halten.«
    »Und doch übt Ihr Euch in Alchemie«, bemerkte Matthew. »Ist das auch nur eine Fabel?«
    »Ich praktiziere die Alchemie, um Gottes Wunder der Schöpfung zu begreifen!«, fuhr Mary ihn an. »Alchemie hat nichts mit … Hexenwerk zu tun!«
    »Das Wort, nach dem Ihr suchtet, lautet Teufelswerk.« Der Vampir sah sie finster an. Die Countess wich unwillkürlich zurück. »Seid Ihr Euch Eurer selbst und Gottes so sicher, dass Ihr behauptet, Ihr wüsstet, was Er denkt?«
    Mary nahm den Tadel hin, war aber noch nicht bereit, die Waffen zu strecken. »Mein Gott und Euer Gott sind nicht derselbe, Matthew.« Mein Ehemann sah sie scharf an, und Henry zupfte nervös an seinen Beinlingen herum. Die Countess reckte das Kinn vor. »Auch das hat mir Philip

Weitere Kostenlose Bücher