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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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davor. Matthew erhob sich stirnrunzelnd. »Fühlt sich die Countess nicht wohl? Oder einer ihrer Knaben?«
    »Alle sind wohlauf, Sir.« Ein Diener streckte ihm ein sorgfältig zusammengefaltetes Papier hin. Es war mit einem unregelmäßigen Wachsklecks versiegelt, in den eine Pfeilspitze eingedrückt war. »Von der Countess of Pembroke«, erklärte er mit einer Verbeugung. »Für Mistress Roydon.«
    Es war eigenartig, die förmliche Anschrift auf der Vorderseite zu lesen: Mistress Diana Roydon, im Hause des Hart and Crown, Blackfriars . Sobald meine Fingerspitzen über die Buchstaben wanderten, tauchte Mary Sidneys intelligentes Gesicht vor mir auf. Ich trug das Schreiben ans Feuer, schob den Finger unter das Siegel und setzte mich zum Lesen. Das dicke Papier knisterte, als ich es auffaltete. Ein kleinerer Zettel rutschte in meinen Schoß.
    »Was schreibt Mary denn?«, fragte Matthew, nachdem er die Boten weggeschickt hatte. Er stand hinter mir und hatte die Hände auf meine Schultern gelegt.
    »Sie möchte, dass ich am Donnerstag nach Baynard’s Castle komme. Mary arbeitet an einem alchemistischen Experiment, von dem sie glaubt, dass es mich interessieren könnte.« Mir war das Erstaunen anzuhören.
    »So ist Mary. Vorsichtig, aber loyal«, erklärte Matthew und setzte einen Kuss auf meinen Scheitel. »Und sie hat sich noch jedes Mal verblüffend schnell erholt. Was steht auf dem anderen Zettel?«
    Ich hob ihn auf und las ihm die ersten der darauf notierten Verse vor.
    Auch wenn mich alle Welt missachtet
    Und mir nach meinem Leben trachtet
    Bist Du doch meine Zuversicht.
    »Hört, hört, hört«, unterbrach mich Matthew leise lachend. »Meine Gemahlin ist endgültig angekommen.« Ich sah ihn verdattert an. »Marys allerliebstes Projekt hat nichts mit Alchemie zu tun, sondern ist eine Neuübersetzung des Buches der Psalmen für englische Protestanten. Ihr Bruder Philip hat damit begonnen, starb aber, bevor er es zu Ende bringen konnte. Mary ist eine weit bessere Dichterin als er. Manchmal vermutet sie das sogar selbst, aber das würde sie nie zugeben. Das ist der Beginn des 71. Psalms. Sie schickt ihn dir, um zu zeigen, dass du zu ihrem Kreis gehörst – als Vertraute und Freundin.« Er senkte die Stimme zu einem ironischen Flüstern. »Obwohl du ihre Schuhe ruiniert hast.« Leise lachend verschwand Matthew in seine Schreibstube, dicht gefolgt von Pierre.
    Ich hatte mir den Tisch im Salon als Schreibtisch auserkoren. Wie jede Arbeitsfläche, die ich je mit Beschlag belegt hatte, war er inzwischen unter Schund und Schätzen begraben. Ich wühlte darin herum und förderte die letzten leeren Blätter Papier zutage, wählte eine frische Feder und räumte einen Fleck zum Schreiben frei.
    Innerhalb von fünf Minuten hatte ich eine kurze Antwort an die Countess verfasst. Zwei peinliche Tintenflecke zierten sie, aber meine Kursivschrift war halbwegs brauchbar, und ich vergaß nicht, ein paar der Worte phonetisch zu schreiben, damit das Schreiben nicht allzu modern wirkte. Im Zweifelsfall verdoppelte ich einen Konsonanten oder hängte hinten ein e an. Ich schüttete Sand auf das Blatt und wartete ab, bis die überschüssige Tinte aufgesogen war, bevor ich ihn in die Binsen pustete. Nachdem ich den Brief zusammengefaltet hatte, ging mir auf, dass ich kein Wachs und kein Siegel hatte, um ihn zu schließen. Das musste sich ändern.
    Ich legte meine Nachricht beiseite, um sie später Pierre zu geben, und griff wieder nach Marys Nachricht. Sie hatte mir alle drei Verse des 71. Psalmes geschickt. Ich griff nach dem neuen Notizbuch, das Matthew mir gekauft hatte, und schlug es auf. Nachdem ich den Federkiel ins Tintenfass getaucht hatte, zog ich die Spitze bedächtig über das Blatt.
    Die über meinen Glauben lachen
Und mit ihren Spähern wachen
Sagen über mich, den Frommen:
Gott der Herr hat ihn verlassen
Darum lasset ihn uns fassen
Denn sein Erretter wird nicht kommen!
    Als die Tinte getrocknet war, klappte ich das Buch zu und schob es unter Philip Sidneys Arcadia.
    Mit diesem Geschenk hatte Mary mir nicht nur ihre Freundschaft angeboten, davon war ich überzeugt. Während sie mit den Versen, die ich Matthew vorgelesen hatte, seine Dienste an ihrer Familie anerkannte und erklärte, dass sie sich nicht von ihm abwenden würde, enthielten die letzten Zeilen eine persönliche Botschaft an mich: Wir wurden beobachtet. Jemand hatte den Verdacht, dass es in der Water Lane nicht mit rechten Dingen zuging, und Matthews Feinde bauten

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