Wo die Nacht beginnt
mittlerweile darauf, dass sich selbst seine Verbündeten gegen ihn wenden würden, sobald sie die Wahrheit erkannten.
Als Vampir, als Diener der Königin und als Mitglied der Kongregation durfte Matthew auf keinen Fall mit der Suche nach einer Hexe betraut werden, die mich in den Fragen der Magie unterweisen würde. Und nachdem inzwischen ein Baby unterwegs war, war es lebenswichtig geworden, möglichst schnell eine solche Hexe zu finden.
Ich zog ein weiteres Blatt Papier zu mir her und begann eine Liste zu erstellen.
Siegelwachs
Siegel
London war eine große Stadt. Ich würde einkaufen gehen.
17
I ch gehe aus.«
Françoise blickte von ihren Näharbeiten auf. Dreißig Sekunden später kam Pierre die Treppe hochgelaufen. Wäre Matthew zu Hause gewesen, wäre er zweifellos ebenfalls erschienen, aber er war unterwegs, um in der Stadt irgendwelche ominösen Geschäfte zu erledigen. Beim Aufwachen hatte ich nur seinen feuchten Anzug gesehen, der zum Trocknen am Kamin hing. Matthew war mitten in der Nacht fortgerufen worden und nur kurz heimgekehrt, um gleich wieder zu verschwinden.
»Wirklich?« Françoises Augen wurden schmal. Seit ich mich angezogen hatte, hatte sie vermutet, dass ich nichts Gutes im Schilde führte. Statt mich wie sonst über die zahllosen Unterröcke zu beschweren, die sie mir über den Kopf stülpte, hatte ich heute noch einen aus warmem grauem Flanell hinzugefügt. Dann hatten wir gestritten, welches Kleid ich anziehen sollte. Ich trug lieber die bequemen Sachen, die ich in Frankreich gekauft hatte, als Louisa de Clermonts elegante Gewänder. Mit ihrer Porzellanhaut und den dunklen Haaren konnte Matthews Schwester gut ein knallig türkises Samtkleid tragen ( »verdigris «, hatte Françoise mich korrigiert) oder ein kränklich graugrünes Taftensemble (das passenderweise »Sterbender Spanier« genannt wurde), aber ich mit meinen hellen Sommersprossen und den rotblonden Locken sah darin aus wie ein Gespenst, außerdem waren beide Kleider viel zu elegant für einen Ausflug in die Stadt.
»Vielleicht sollte Madame warten, bis Master Roydon zurückkehrt«, schlug Pierre vor. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Nein, das ist nicht nötig. Ich habe eine Liste der Dinge erstellt, die ich brauche, und ich möchte selbst einkaufen gehen.« Ich griff nach dem Lederbeutel mit Münzen, den Philippe mir geschenkt hatte. »Kann ich den in einer Tasche bei mir tragen, oder soll ich das Geld in mein Mieder stecken und die Münzen erst herausziehen, wenn ich sie brauche?« Dieser Aspekt hatte mich an den historischen Romanen immer fasziniert – Frauen, die sich Dinge in ihr Dekolleté stopfen –, und ich war gespannt, ob die Münzen tatsächlich so leicht wieder zu bergen waren wie in der Literatur. Mit jemandem Sex zu haben war im 16. Jahrhundert jedenfalls nicht so einfach, wie es in einigen Liebesromanen dargestellt wurde. Dafür waren entschieden zu viele Kleidungsstücke im Weg.
»Madame wird überhaupt kein Geld bei sich tragen!« Françoise deutete auf Pierre, der die Schnüre eines um seine Taille gebundenen Säckchens löste. In dessen scheinbar unermesslichen Tiefen erspähte ich eine beeindruckende Auswahl an spitzen Instrumenten, darunter Nadeln, Haken, etwas wie einen Satz Dietriche und einen Dolch. Nachdem mein Lederbeutel darin verschwunden war, klingelte es bei der leisesten Bewegung.
Draußen auf der Water Lane marschierte ich so entschlossen, wie es meine Trippen (die hilfreichen Holzschuhe, die man über die eigentlichen Schuhe zog und die den Schlamm abhielten) erlaubten, in Richtung St. Paul’s. Mein pelzbesetzter Umhang wehte mir um die Beine und hielt mir mit seinem festen Stoff den hartnäckigen Nebel vom Leib. Wir erlebten eine kurzfristige Erholungspause nach den jüngsten Regengüssen, aber das hieß keineswegs, dass es trocken war.
Zuerst hielten wir an Master Priors Bäckerei und erstanden ein paar Brötchen mit Rosinen und kandierten Früchten. Ich bekam spätnachmittags oft Hunger und wollte dann am liebsten etwas Süßes. Mein nächster Weg führte mich an die schmale Gasse, die Blackfriars mit dem Rest von London verband, und dort in eine betriebsame Druckerei, auf deren Schild ein Anker zu sehen war.
»Guten Morgen, Mistress Roydon«, begrüßte mich der Besitzer, sobald ich die Schwelle überschritten hatte. Offenbar kannten mich meine Nachbarn, auch ohne dass ich ihnen vorgestellt worden war. »Seid ihr gekommen, um das Buch Eures Gemahls
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