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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Nachdem wir uns alle im Empfangszimmer versammelt hatten, konnte Henry seine Begeisterung nicht länger zügeln.
    »Ist es endlich an der Zeit, Mary?«, fragte er die Countess und rutschte dabei unruhig auf seinem Sitz herum.
    »Ihr zeigt die gleiche Begeisterung fürs Schenken wie der junge William«, erwiderte sie lachend. »Henry und ich haben Euch zur Feier des neuen Jahres und Eurer Hochzeit ein Geschenk besorgt.«
    Allerdings hatten wir kein Gegengeschenk. Ich sah Matthew beschämt an, unser Versäumnis war mir ausgesprochen unangenehm.
    »Matthew hat erst meinem Bruder Philip das Leben und später Henrys Güter gerettet«, sagte Mary, die meine Bestürzung bemerkt hatte. »Eine solche Schuld kann kein Geschenk der Welt ausgleichen. Raubt uns nicht das Vergnügen. Es ist Tradition, Frischvermählten etwas zu schenken, außerdem ist bald Neujahr. Was habt Ihr der Königin geschenkt, Matthew?«
    »Nachdem sie dem armen König James eine weitere Uhr geschickt hat, um ihn daran zu erinnern, dass er still abwarten soll, bis ihm die Stunde schlägt, spielte ich mit dem Gedanken, ihr ein kristallenes Stundenglas zu schenken. Ich dachte, es könnte sie an ihre Sterblichkeit erinnern«, erklärte er sarkastisch.
    Henry sah ihn entsetzt an. »Nein. Das habt Ihr nicht.«
    »Es war ein müßiger Gedanke in einem Moment tiefen Missvergnügens«, versicherte ihm Matthew. »Natürlich habe ich ihr, genau wie jeder andere, eine Schüssel mit Deckel geschenkt.«
    »Vergesst unser Geschenk nicht, Henry«, ermahnte ihn Mary, inzwischen sehr ungeduldig.
    Henry zückte einen Samtbeutel und präsentierte ihn mir. Ich zupfte an den Schnüren und zog schließlich ein schweres Goldmedaillon an einer nicht minder schweren Kette heraus. Die Vorderseite, mit Matthews Mond und Stern in der Mitte, war in filigranen Schmiedearbeiten aufgebrochen und mit Rubinen und Diamanten besetzt. Als ich das Medaillon umdrehte und die brillante Emailarbeit mit Blumen und Ranken entdeckte, stockte mir der Atem. Ich öffnete vorsichtig den Verschluss auf der Unterseite, und ein Miniaturporträt von Matthew blickte zu mir auf.
    »Master Hilliard fertigte die ersten Zeichnungen, als er hier war. Über die Feiertage war er so beschäftigt, dass ihm sein Assistent Isaac beim Malen helfen musste«, erklärte Mary.
    Ich hielt die Miniatur in der offenen Hand und drehte sie ein wenig. Matthew war so dargestellt, wie er zu Hause aussah, wenn er spätnachts in seiner Schreibstube neben dem Schlafzimmer arbeitete. Über dem geöffneten Hemd mit dem Spitzenkragen blickte er den Betrachter mit hochgezogener rechter Augenbraue an und zeigte dabei die für ihn typische Kombination von Ernsthaftigkeit und spöttischer Ironie. Das schwarze Haar war wie üblich unordentlich aus der Stirn zurückgekämmt, und die langen Finger der linken Hand hielten ein Medaillon. Für diese Zeit war es ein überraschend offenherziges und erotisches Bild.
    »Sagt es Euch zu?«, fragte Henry.
    »Ich liebe es.« Ich konnte den Blick nicht von meinem neuen Schatz wenden.
    »Verglichen mit seinem Meister neigt Isaac eher zu … gewagteren Porträts, aber als ich ihm erzählte, dass es ein Hochzeitsgeschenk sein soll, überzeugte er mich, dass ein solches Medaillon das süße Geheimnis einer Frau bleiben würde und den Mann eher in privater als öffentlicher Pose zeigen sollte.« Mary sah mir über die Schulter. »Es sieht ihm durchaus ähnlich, trotzdem wünschte ich, Master Hilliard würde lernen, das Kinn seines Modells genauer zu erfassen.«
    »Es ist perfekt, und ich werde es immer bei mir tragen.«
    »Dies ist für Euch«, sagte Henry und überreichte Matthew einen identischen Beutel. »Hilliard hatte das Gefühl, dass Ihr es vielleicht anderen zeigen und bei Hofe tragen wollt, darum war er etwas … dezenter in der Darstellung.«
    »Ist dies das Medaillon, das Matthew in meiner Miniatur hält?« Ich deutete auf den milchigen Stein in dem schlichten Goldrahmen.
    »Ich glaube schon«, sagte Matthew milde. »Ist das ein Mondstein, Henry?«
    »Ein uraltes Sammlerstück«, verkündete Henry stolz. »Er lag unter meinen Kuriositäten, und ich wollte ihn dir schenken. Das Intaglio ist das der Göttin Diana, wie du siehst.«
    Die Miniatur darin war weniger persönlich, aber immer noch so wenig förmlich, dass ich stutzte. Ich trug darin das rostrote Kleid mit dem schwarzen Samtbesatz. Ein feiner Spitzenkragen umrahmte mein Gesicht, ohne die glänzenden Perlen an meinem Hals zu verdecken.

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