Wo die Nacht beginnt
sein und die Schlacht gewinnen«, versprach er seinem Bruder.
In der eintretenden Stille standen Susanna und Annie nur da und starrten mich an. Annies schwache Magie-Impulse waren mir inzwischen vertraut. Aber auf die ununterbrochenen bohrenden Ströme, die Susanna auf mich richtete, war ich nicht vorbereitet. Mein drittes Auge öffnete sich. Endlich hatte jemand meine Hexenneugier geweckt.
»Das ist mir unangenehm«, sagte ich und wandte den Kopf ab, um Susannas intensivem Blick auszuweichen.
»Das sollte es auch sein«, antwortete sie gelassen. »Wobei benötigt Ihr meine Hilfe, Mistress?«
»Ich wurde durch einen Zauber gebunden. Es ist nicht so, wie Ihr glaubt«, sagte ich, als Annie unwillkürlich zurückwich. »Meine Eltern waren beide Hexen, aber beide wussten nicht, mit welchen Gaben ich ausgestattet bin. Sie wollten nicht, dass ich Schaden nehme, darum haben sie mich durch einen Zauber gebunden. Inzwischen hat sich jedoch das Band gelockert, und nun geschehen seltsame Dinge.«
»Welche zum Beispiel?«, fragte Susanna und schickte Annie auf einen Stuhl.
»Ein paar Mal habe ich eine Hexenflut heraufbeschworen, in letzter Zeit allerdings nicht mehr. Manchmal sehe ich rund um die Menschen einen Farbenkranz, aber nicht immer. Und eine Quitte begann zu schrumpeln, sobald ich sie berührte.« Meine spektakuläreren Magie-Attacken verschwieg ich lieber. Und ich verschwieg auch die eigenartigen blau-gelben Stränge in den Zimmerecken oder die Handschriften, die sich aus Matthews Büchern gelöst hatten, oder die Reptilien, die von Mary Sidneys Schuhen geflohen waren.
»War Eure Mutter oder Euer Vater eine Wasserhexe?«, versuchte Susanna aus meiner Geschichte schlau zu werden.
»Das weiß ich nicht«, gestand ich. »Ich war noch ein Kind, als sie starben. Meine Tante konnte mir nicht viele Formeln beibringen. Gelegentlich kann ich eine Kerze entzünden. Und ich habe diverse Objekte zu mir rufen können.«
»Aber Ihr seid eine erwachsene Frau!« Susanna stemmte die Hände in die Hüften. »Selbst Annie versteht mehr vom Hexen, und sie ist gerade vierzehn. Könnt Ihr aus Pflanzen Zaubertränke mischen?«
»Nein.« Sarah hatte mir beibringen wollen, wie man Zaubertränke herstellt, aber ich hatte mich dagegen gesträubt.
»Seid Ihr eine Heilerin?«
»Nein.« Allmählich verstand ich, warum Annie mich so deprimiert ansah.
Susanna seufzte. »Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Andrew Hubbard meine Hilfe benötigt. Mit meinen Patientinnen, meinem gebrechlichen Ehemann und den zwei halbwüchsigen Söhnen habe ich wahrhaftig genug zu tun.« Sie nahm eine angeschlagene Schüssel vom Regal und ein braunes Ei aus einem Gestell am Fenster, stellte die Schüssel auf den Tisch, legte das Ei daneben und zog einen Stuhl heraus. »Setzt Euch, und schiebt die Hände unter Eure Beine.«
Verwundert tat ich, was sie von mir verlangte.
»Annie und ich gehen jetzt zum Haus der Witwe Hackett. Während wir unterwegs sind, werdet Ihr den Inhalt dieses Eis in die Schüssel bringen, ohne dabei Eure Hände zu bewegen. Dazu braucht es zwei Zaubersprüche: einen Bewegungsspruch und einen schlichten Öffnungszauber. Mein Sohn John ist acht, und er bekommt das ohne zu überlegen hin.«
»Aber …«
»Falls das Ei bei meiner Rückkehr nicht in der Schüssel ist, dann kann Euch niemand helfen, Mistress Roydon. Wenn Eure Kräfte so schwach sind, dass Ihr nicht einmal ein Ei öffnen könnt, dann haben Eure Eltern vielleicht recht daran getan, Euch zu binden.«
Annie sah mich bedauernd an und hob den flachen Topf hoch. Susanna setzte einen Deckel darauf. »Komm, Annie.«
Allein in der Stube der Normans sitzend, starrte ich auf das Ei und die Schüssel.
»Was für ein Albtraum«, flüsterte ich und hoffte gleichzeitig, dass die Jungs zu weit weg waren, um mich zu hören.
Ich holte tief Luft und sammelte meine ganze Energie. Ich kannte beide Formeln, und ich wollte, dass sich das Ei bewegte – ich wollte es um jeden Preis. Magie ist nichts anderes als wahr gewordenes Verlangen, ermahnte ich mich selbst.
Ich konzentrierte mein Verlangen auf das Ei. Es hoppelte einmal kurz über den Tisch und blieb dann liegen. Stumm wiederholte ich den Spruch. Und noch einmal. Und noch einmal.
Minuten später hatte ich nur eines hervorgezaubert – einen dünnen Schweißfilm auf meiner Stirn. Dabei brauchte ich das Ei nur anzuheben und aufzubrechen. Aber selbst dabei hatte ich versagt.
»Es tut mir leid«, murmelte ich meinem flachen Bauch
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