Wo die Nacht beginnt
Gleichzeitig zeigte die Frisur, dass dies ein intimes Geschenk war, das einem frischgebackenen Ehemann geziemte: Mein Haar floss in einem wilden Strudel rotgoldener Locken über meine Schultern und meinen Rücken.
»Der blaue Hintergrund hebt Dianas Augen hervor. Und ihr Mund sieht so lebendig aus.« Auch Matthew war überwältigt von dem Geschenk.
»Ich habe einen Rahmen anfertigen lassen«, sagte Mary und gab Joan ein Zeichen, »in den ihr die Medaillons stellen könnt, wenn sie nicht getragen werden.« Es war eher eine flache, mit Samt ausgeschlagene Kiste mit zwei ovalen Vertiefungen. Die beiden Miniaturen passten genau hinein, womit sie wie ein Doppelporträt wirkten.
»Wie schön von Mary und Henry, uns so etwas zu schenken«, sagte Matthew, als wir später wieder im Hart and Crown waren. Er schob seine Arme von hinten um meine Taille und verschränkte die Finger über meinem Bauch. »Ich hatte nicht einmal Zeit, ein Foto von dir zu machen. Ich hätte mir nie vorgestellt, dass das erste Bild, das ich von dir bekomme, von Nicholas Hilliard gemalt sein würde.«
»Beide Bilder sind wunderschön«, sagte ich und legte die Hände auf seine.
»Aber …?« Matthew richtete sich auf und legte den Kopf schief.
»Miniaturen von Nicholas Hilliard sind sehr gefragt, Matthew. Die Bilder werden sich nicht in Luft auflösen, wenn wir hier weggehen. Und sie sind so fein gearbeitet, dass ich es nicht ertragen würde, sie vor unserer Abreise zu vernichten.« Die Zeit war wie meine Halskrause. Sie begann als glatter, flacher, fest verwobener Stoff. Doch plötzlich faltete sie sich auf, wurde immer wieder durchbrochen und durchwirkt. »Wir verändern ständig die Vergangenheit, und zwar so nachdrücklich, dass es in der Gegenwart Spuren hinterlassen muss.«
»Vielleicht sind wir gerade deswegen hier«, schlug Matthew vor. »Vielleicht hängt die Zukunft genau davon ab.«
»Ich wüsste nicht, wie das gehen könnte.«
»Noch nicht. Aber vielleicht blicken wir eines Tages zurück und entdecken, dass genau diese Miniaturen etwas bewirkt haben.« Er lächelte.
»Stell dir nur vor, was es bewirken könnte, wenn wir Ashmole 782 finden würden.« Ich sah ihn an. Über Marys illustrierten Alchemiebüchern war mir das mysteriöse Werk und unsere frustrierende Suche wieder in den Sinn gekommen. »In Oxford hat George es nicht gefunden, aber es muss irgendwo in England sein. Immerhin hat Ashmole das Manuskript von irgendwem erworben. Vielleicht sollten wir nicht nach dem Manuskript suchen, sondern nach demjenigen, der es ihm verkauft hat.«
»In diesen Zeiten herrschte ein schwunghafter Handel mit Manuskripten. Ashmole 782 könnte überall sein.«
»Aber eben auch hier«, beharrte ich.
»Vielleicht hast du recht«, stimmte Matthew mir zu. Doch ich sah ihm an, dass er in Gedanken bei drängenderen Fragen als unserem schwer fassbaren Manuskript war. »George soll bei den Buchhändlern Erkundigungen einziehen.«
Doch schon am nächsten Morgen waren alle Gedanken an Ashmole 782 verflogen, denn da erhielten wir Nachricht von Annies Tante, der viel beschäftigten Hebamme. Sie war wieder in London.
»Die Hexe wird nicht in das Haus eines berüchtigten Wearh und Spions kommen«, berichtete Matthew, nachdem er den Brief gelesen hatte. »Ihr Ehemann ist strikt dagegen, er fürchtet, es könnte seinen Ruf ruinieren. Wir sollen zu ihrem Haus in der Nähe von St. James am Garlic Hill kommen.« Als ich nicht reagierte, sah mich Matthew finster an und fuhr dann fort: »Das ist am anderen Ende der Stadt, keinen Steinwurf von Andrew Hubbards Gelass entfernt.«
»Du bist ein Vampir«, rief ich ihm ins Gedächtnis. »Sie ist eine Hexe. Wir sollen uns nicht mischen. Der Mann der Hexe ist zu Recht vorsichtig.«
Matthew bestand trotzdem darauf, mich und Annie durch die Stadt zu begleiten. Der Kirchenbezirk von St. James war weitaus wohlhabender als Blackfriars. Hier gab es geräumige, breite Straßen, große Häuser, betriebsame Geschäfte und einen aufgeräumten Kirchhof. Annie führte uns in eine schmale Gasse hinter der Kirche, die zwar dunkel war, aber blitzblank gefegt.
»Dort, Master Roydon«, sagte das Mädchen, deutete auf ein Schild mit einer Windmühle und rannte dann zusammen mit Pierre voraus, um uns im Haus anzukündigen.
»Du brauchst nicht zu bleiben«, erklärte ich Matthew. Dieser Besuch war schon nervenaufreibend genug, ohne dass er mit finsterer Miene hinter mir stand.
»Ich werde nirgendwohin gehen«, erwiderte er
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