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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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immer noch an ihrem Schreibtisch. Inzwischen war es weit nach sieben. Um sich die Zeit zu vertreiben, stöberte sie in den Akten und versuchte, mehr über diesen Mann herauszufinden. Es war ihr lieber, wenn sie möglichst viel über die Menschen wusste, mit denen sie sich traf. Sylvia war vielleicht der Auffassung, dass sie nur den Namen zu wissen und eine Ahnung von seinem Beruf zu haben brauchte, aber Phoebe wusste, dass das falsch war. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, wie gut persönliche Informationen als Waffe taugten, wenn es bei Cocktailpartys oder Galadiners einen kleinen Schlagabtausch gab. Dummerweise hatte Phoebe in den Archiven von Sotheby’s keinen einzigen Whitmore finden können, und unter der Kundennummer fand sich nichts als eine schlichte Karte in einem verschlossenen Aktenschrank, auf der lediglich eine kurze Bemerkung stand: Familie de Clermont – bei der Geschäftsführung nachfragen.
    Um fünf vor neun hörte sie jemanden vor der Tür. Die Stimme klang forsch, aber eigenartig musikalisch.
    »Das ist die dritte hoffnungslose Schnitzeljagd, auf die du mich schickst, Ysabeau. Tu mir den Gefallen, und versuch nicht völlig zu vergessen, dass ich auch andere Dinge zu tun habe. Bitte nächstes Mal Alain.« Es blieb kurz still. »Du findest, dass ich nicht viel zu tun habe? Nun gut. Ich rufe dich an, sobald ich sie gesehen habe.« Der Mann fluchte leise. »Dann sag deiner Intuition, sie soll Pause machen, Herrgott noch mal.«
    Der Mann klang eigenartig, halb amerikanisch, halb britisch, aber mit leicht verschliffenem Akzent, so als wären das nicht die einzigen Sprachen, in denen er sich oft unterhielt. Phoebes Vater hatte im diplomatischen Dienst Ihrer Majestät gearbeitet, und er klang ähnlich unbestimmt, so als stamme er von nirgendwo und überall zugleich.
    Die Glocke läutete, das nächste schrille Geräusch, das sie zusammenzucken ließ, obwohl Phoebe längst damit gerechnet hatte. Sie stieß sich von ihrem Schreibtisch ab und marschierte durch den Raum. Sie trug ihre schwarzen High Heels, die ein Vermögen gekostet hatten, in denen sie aber deutlich größer und, wie Phoebe sich einzureden versuchte, respekteinflößender wirkte. Es war ein Trick, den sie gleich beim Vorstellungsgespräch gelernt hatte, zu dem sie in flachen Schuhen vor Sylvia erschienen war. Danach hatte sie sich geschworen, nie wieder »bezaubernd grazil« zu wirken.
    Sie warf einen Blick durch den Türspion und sah eine glatte Stirn, struppiges Blondhaar und zwei strahlend blaue Augen. Das war doch bestimmt nicht Dr. Whitmore.
    Plötzlich ließ ein Klopfen sie aufschrecken. Wer dieser Mann auch war, Manieren hatte er jedenfalls keine. Irritiert drückte Phoebe die Taste der Wechselsprechanlage. »Ja?«, fragte sie unwirsch.
    »Marcus Whitmore für Ms Thorpe.«
    Phoebe blickte irritiert ein zweites Mal durch den Türspion. Unmöglich. Sylvia würde sich nie herablassen, jemandem ihre Aufmerksamkeit zu schenken, der so jung war. »Könnte ich Ihre Karte sehen?«, fragte sie trocken.
    »Wo ist Sylvia?« Die blauen Augen wurden schmal.
    »Im Ballett. Coppélia, glaube ich.« Sylvias Tickets waren für die besten Plätze im Saal, ein Luxus, der als Geschäftsausgabe deklariert wurde. Der Mann auf der anderen Seite der Tür klatschte eine Visitenkarte gegen den Türspion. Phoebe schreckte zurück. »Wenn Sie bitte ein wenig zurücktreten würden? So nah kann ich nichts erkennen.« Die Karte wurde eine Handbreit zurückgezogen.
    »Wirklich, Miss …?«
    »Taylor.«
    »Miss Taylor, ich bin schrecklich in Eile.« Die Karte verschwand, und die beiden blauen Strahler richteten sich wieder auf sie. Phoebe wich ein zweites Mal zurück, aber erst nachdem sie den Namen auf der Karte und die Adresse eines Forschungsinstituts in Oxford entziffert hatte.
    Er war Dr. Whitmore. Was hatte ein Wissenschaftler bei Sotheby’s verloren? Phoebe drückte den Türöffner.
    Sobald es geklickt hatte, drängte Whitmore an ihr vorbei. Mit seinen schwarzen Jeans, dem grauen U2-T-Shirt und den lächerlichen hohen Chucks (ebenfalls grau) sah er aus, als wollte er direkt in einen Club in Soho. Um seinen Hals hing eine Lederkordel, an der eine Handvoll von billigen Anhängern verschiedenster Herkunft baumelten. Phoebe zupfte den Saum ihrer blütenweißen Bluse zurecht und sah ihn ärgerlich an.
    »Danke«, sagte Whitmore, der viel dichter vor ihr stehen geblieben war, als höflich gewesen wäre. »Sylvia hat mir eine Schatulle zurücklegen lassen.«
    »Wenn

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