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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Ellbogen.
    Etwas Blaues und Bernsteinfarbenes, ein Geflecht aus Licht und Farbe, zog meine Blicke an. Es saß in einem dichten Gespinst in der Zimmerecke, wo sonst nur Spinnweben und Staub waren. Fasziniert erhob ich mich und wollte darauf zugehen.
    »Hat sie einen Anfall?« Henrys Gesicht tauchte hinter Matthews Schulter auf.
    Die Glockenschläge verstummten, und der Lavendelduft verflog. Blau und Bernstein verblassten zu Grau und Weiß und waren im nächsten Moment verschwunden.
    »Verzeiht. Ich dachte, ich hätte in der Ecke etwas gesehen. Wahrscheinlich war es nur eine Lichtspiegelung.« Ich ließ mich auf meinen Stuhl sinken und presste mir die Hand auf die Wange.
    »Vielleicht leidest du unter der Zeitverschiebung, mon cœur«, murmelte Matthew. »Ich habe dir einen Spaziergang im Park versprochen. Möchtest du mit mir hinausgehen, um deinen Kopf klar zu bekommen?«
    Vielleicht wirkte die Wanderung durch die Zeit noch nach, und vielleicht würde mir die frische Luft helfen. Aber wir waren eben erst angekommen, und Matthew hatte diese Männer seit mehr als vier Jahrhunderten nicht gesehen.
    »Du solltest bei deinen Freunden bleiben«, sagte ich fest, obwohl mein Blick im selben Moment zum Fenster ging.
    »Sie sind bestimmt noch hier und trinken meinen Wein, wenn wir zurückkommen«, versicherte Matthew mir lächelnd. Er wandte sich an Walter. »Ich werde Diana ihr Heim zeigen und dafür sorgen, dass sie sich im Garten zurechtfindet.«
    »Wir müssen uns noch unterhalten«, mahnte Walter. »Wir haben Geschäftliches zu besprechen.«
    Matthew nickte und legte die Hand um meine Taille. »Das kann warten.«
    Wir ließen die Schule der Nacht im warmen Salon zurück und gingen nach draußen. Tom hatte schon das Interesse an unseren Vampir- und Hexenproblemen verloren und sich in ein Buch vertieft. George machte konzentriert irgendwelche Notizen. Kit sah uns ärgerlich nach, Walter argwöhnisch und Henry voll Mitgefühl. Dabei fiel mir ein, was Shakespeare bald über diese ungewöhnliche Gruppe sagen würde. »Wie fängt es an?«, murmelte ich leise. » Schwarz ist die Livrei der Hölle ?«
    Matthews Blick ging ins Weite. » Schwarz ist die Livrei der Hölle/Des Kerkers Farbe, Schule finstrer Nacht. «
    » Der Freundschaft Farbe wäre treffender«, sagte ich. Ich hatte gesehen, wie Matthew die Leser in der Bodleian Library manipuliert hatte, aber dass Männer wie Walter Raleigh und Kit Marlowe auf ihn hörten, hatte ich trotzdem nicht erwartet. »Gibt es etwas, das sie nicht für dich tun würden, Matthew?«
    »Beten wir zu Gott, dass wir das nie herausfinden«, antwortete er düster.

3
    A m Montagmorgen wurde ich in Matthews Arbeitszimmer ge-steckt. Es lag zwischen Pierres Stube und einer kleinen Schreibkammer, von der aus das Haus verwaltet wurde, und ich hatte von da aus freien Blick auf das Torhaus und die Straße nach Woodstock.
    Die meisten der Jungs – inzwischen kannte ich sie besser, und sie als Jungs zu bezeichnen erschien mir weitaus treffender als das hochtrabende Schule der Nacht – hatten sich in jenem Raum verschanzt, den Matthew als Frühstückszimmer bezeichnete, tranken dort Bier und Wein und versuchten mithilfe ihrer unerschöpflichen Phantasie eine Vergangenheit für mich zu erfinden. Walter hatte mir versichert, dass sie danach in der Lage sein würden, allen neugierigen Dorfbewohnern meine plötzliche Anwesenheit in Woodstock zu erklären und alle Fragen nach meinem eigenartigen Akzent und meinen merkwürdigen Angewohnheiten zu beantworten.
    Was sie sich bisher zusammengereimt hatten, klang ungeheuer melodramatisch. Überraschend war das nicht, schließlich hatten die beiden Dramatiker unter den Hausgästen, Kit und George, die Schlüsselelemente der Handlung ersonnen. Zu den Akteuren zählten verstorbene französische Eltern, geldgierige Edelleute, die ein hilfloses Waisenkind (mich) um sein Erbe zu bringen versuchten, und alte Sündenböcke, die mir meine Tugend rauben wollten. Im weiteren Verlauf gab es einige unerwartete Wendungen, während derer mein Glaube auf die Probe gestellt und ich vom Katholizismus zum Kalvinismus bekehrt wurde, was zur Flucht und zum Exil an Englands protestantische Gestade führte, gefolgt von Jahren in tiefster Armut, aus der mich Matthew, der auf den ersten Blick mein wahres Wesen erkannt hatte, heldenmütig errettete. George (der wirklich etwas von einer Grundschullehrerin hatte) versprach, mich in die Einzelheiten einzuweihen, sobald sie der Geschichte den

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