Wo die Nacht beginnt
letzten Schliff verpasst hatten.
Einstweilen genoss ich die Stille, die sich in einem so großen elisabethanischen Haushalt nur selten einstellte. Wie ein quengeliges Kind fand Kit stets den unpassendsten Moment, um uns die Post zu bringen, uns zum Essen zu holen oder Matthew bei irgendeinem Problem um Hilfe zu bitten. Und Matthew genoss verständlicherweise die Gesellschaft seiner Freunde, die er so unverhofft wiedersehen durfte.
Im Moment war er mit Walter zusammen, während ich mich in ein kleines Notizbuch vertiefte und auf seine Rückkehr wartete. Bis vorhin hatte er an seinem Tisch am Fenster gesessen, auf dem sich Beutel voller gespitzter Federkiele und Gläser mit Tinte drängten. Dazwischen lagen andere Hilfsmittel: ein Wachsstock, um seine Korrespondenz zu versiegeln, ein dünnes Messer, um die Briefe zu öffnen, eine Kerze, eine silberne Streudose. In Letzterer befand sich allerdings kein Salz, sondern Sand, wie ich am Morgen mit knirschenden Zähnen an meinem Frühstücksei festgestellt hatte.
Auf meinem Tisch stand eine ähnliche Streudose, die dazu diente, die Tinte auf dem Papier zu trocknen und Schmierer zu verhindern, außerdem ein Topf mit schwarzer Tinte und drei Stiftstummel. Im Moment arbeitete ich einen vierten auf, während ich mich abmühte, die komplizierten Schnörkel der elisabethanischen Handschrift zu meistern. Eine Liste der anstehenden Aufgaben zu erstellen hätte mir eigentlich ein Leichtes sein müssen. Als Historikerin hatte ich Jahre damit zugebracht, alte Handschriften zu studieren, und wusste daher genau, wie die Lettern auszusehen hatten, welche Worte gebräuchlich waren und welche orthographischen Freiheiten in dieser Zeit, in der es kaum Wörterbücher und grammatikalische Regeln gab, herrschten.
Wie sich herausstellte, lag die Schwierigkeit nicht darin, dass ich nicht gewusst hätte, was ich tun sollte, sondern darin, es tatsächlich zu tun. Nachdem ich jahrelang mein Bestes gegeben hatte, um zur Expertin zu werden, war ich plötzlich wieder eine Studentin. Nur dass es diesmal nicht mein Ziel war, die Vergangenheit zu verstehen, sondern darin zu leben. Bislang war es eine demütigende Erfahrung gewesen, denn ich hatte nicht mehr zuwege gebracht, als die erste Seite des kleinen Notizbuches, das Matthew mir heute Morgen überlassen hatte, zu verschmieren.
»Das elisabethanische Gegenstück zum Laptop«, hatte er mit einem Lächeln erklärt, als er mir das schmale Bändchen überreicht hatte. »Du bist eine Frau der Worte und brauchst etwas, um sie niederzuschreiben.«
Die feste Bindung hatte geknackt, als ich das Buch aufschlug, und aus den Seiten war intensiver Papiergeruch aufgestiegen. Die meisten sittsamen Frauen dieser Zeit verwendeten derartige Bücher, um ihre Gebete niederzuschreiben.
Diana
Wo ich den Kiel zum D angesetzt hatte, prangte ein dicker Klecks, und bevor ich zum letzten A gekommen war, war mir die Tinte ausgegangen. Trotzdem hatte ich die im sechzehnten Jahrhundert gängige geschwungene Schrift einigermaßen glaubhaft nachgeahmt. Meine Hand bewegte sich deutlich langsamer als die von Matthew, wenn er seine Briefe in der krakeligen »Sekretärsschrift« verfasste. Diese Handschrift verwendeten Anwälte, Ärzte und andere Gebildete, aber für mich war sie momentan noch zu schwierig.
Bishop
Das sah schon besser aus. Aber mein Lächeln verflog sofort wieder, und ich strich den Nachnamen durch. Ich war jetzt verheiratet. Wieder tunkte ich den Kiel in die Tinte.
de Clermont
Diana de Clermont. Das klang nach einer Gräfin, nicht nach einer Historikerin. Ein Tropfen Tinte klatschte auf die Seite. Leise fluchend besah ich mir den schwarzen Fleck. Zum Glück war er nicht auf meinem Namen gelandet. Wobei das auch nicht der richtige Name war. Ich wischte den Klecks über das »de Clermont«. Es war immer noch zu lesen – aber nur andeutungsweise. Ich zwang meine Hand zur Ruhe und setzte bedächtig die richtigen Buchstaben.
Roydon.
So hieß ich jetzt. Diana Roydon, Gemahlin der am wenigsten bekannten Gestalt aus dem Umkreis der mysteriösen Schule der Nacht. Kritisch begutachtete ich die Seite. Objektiv betrachtet war meine Handschrift eine Katastrophe. Sie ähnelte in keiner Weise der korrekten, runden Schrift von Robert Boyle oder der seiner brillanten Schwester Katherine. Ich hoffte, dass Frauen im Jahr 1590 noch nicht so korrekt schrieben wie 1690. Nur noch ein paar Federstriche, ein letzter Schwung, und ich hatte es geschafft.
Ihr Buch.
Draußen waren
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