Wo die Nacht beginnt
Männerstimmen zu hören. Stirnrunzelnd legte ich den Federkiel beiseite und trat ans Fenster.
Unten sah ich Matthew und Walter stehen. Die Glasscheiben dämpften ihre Worte, aber Matthews gequälter Miene und Raleighs zusammengezogenen Brauen nach zu schließen unterhielten sich die beiden über etwas Unerfreuliches. Als Matthew sich mit einer wegwerfenden Geste abwenden und weggehen wollte, hielt Walter ihn mit fester Hand zurück.
Etwas beschäftigte Matthew, seit er heute Morgen die Post entgegengenommen hatte. Schon da war er ganz still geworden und hatte den Beutel lange in der Hand gehalten, ohne ihn zu öffnen. Zwar hatte er mir erklärt, dass es in den Briefen um seine verschiedenen Landgüter ging, aber ich war überzeugt, dass die Umschläge mehr als nur Steuerforderungen und offene Rechnungen enthielten.
Ich presste meine warme Hand gegen die kalte Scheibe, als würde mich nur das Glas von Matthew trennen. Der Temperaturunterschied erinnerte mich sofort an den Gegensatz zwischen warmblütiger Hexe und kaltblütigem Vampir. Ich kehrte an meinen Platz zurück und griff wieder zur Feder.
»Du hast dich also doch entschlossen, deine Spuren im sechzehnten Jahrhundert zu hinterlassen.« Plötzlich stand Matthew neben mir. Das Lächeln in seinem Gesicht konnte seine Anspannung nicht ganz überspielen.
»Ich weiß immer noch nicht recht, ob das klug ist«, gestand ich. »Vielleicht wird irgendein zukünftiger Gelehrter erkennen, dass etwas daran nicht stimmig ist.« Genau wie Kit sofort gespürt hatte, dass etwas an mir merkwürdig war.
»Mach dir keine Sorgen. Das Buch wird das Haus nicht verlassen.« Matthew griff nach seinem Poststapel.
»Woher willst du das wissen?«, protestierte ich.
»Die Geschichte regelt solche Dinge von selbst, Diana«, erklärte er entschieden, aber mir ließ die Zukunft keine Ruhe – ich hatte immer noch Bedenken, wie sich unsere Reise in die Vergangenheit auf die Gegenwart auswirken könnte.
»Ich glaube trotzdem nicht, dass wir Kit die Schachfigur behalten lassen sollten.« Es verstörte mich immer noch, wie triumphierend Marlowe die kleine Dianastatue vorgezeigt hatte. Die Figur diente in Matthews kostbarem silbernem Schachspiel als Königin und hatte zu den Objekten gehört, mit denen ich uns an den richtigen Ort in der Vergangenheit gelenkt hatte. Zwei mir unbekannte junge Dämonen, Sophie Norman und ihr Mann Nathaniel Wilson, hatten sie aus heiterem Himmel im Haus meiner Tanten in Madison abgeliefert, gerade als Matthew und ich den Beschluss gefasst hatten, in die Vergangenheit zu reisen.
»Kit hat sie mir gestern Abend fair und korrekt abgenommen – genau wie beabsichtigt. Wenigstens konnten wir diesmal beobachten, wie er es bewerkstelligt hat. Er lenkte mich mit seinem Turm ab.« Matthew verfasste in beneidenswerter Geschwindigkeit eine Nachricht und faltete die Seiten zu einem ordentlichen Päckchen. Dann setzte er einen zinnoberroten Wachsklecks auf die Seitenränder und drückte seinen Siegelring hinein. Die goldene Oberfläche des Ringes trug das schlichte Zeichen des Planeten Jupiter, nicht das kunstvollere Emblem, das Satu mir ins Fleisch gebrannt hatte. Das Wachs knackte, als es abkühlte. »Irgendwie gelangte meine Schachkönigin von Kit zu einer Familie von Hexen in North Carolina. Wir müssen einfach darauf bauen, dass sie das wieder tun wird, ob mit oder ohne unsere Hilfe.«
»Kit kannte mich bis vor wenigen Tagen überhaupt nicht. Und er mag mich nicht.«
»Desto weniger Grund zur Sorge besteht. Solange es ihm Qualen bereitet, Diana ins Antlitz zu blicken, wird er die Figur nicht aus der Hand geben. Christopher Marlowe ist ein Masochist ersten Ranges.« Matthew griff nach dem nächsten Brief und ritzte ihn mit seinem Messer auf.
Ich betrachtete die anderen Gegenstände auf meinem Schreibtisch und griff nach einem Stapel Münzen. Während meines Studiums hatten wir uns nie mit elisabethanischen Münzen beschäftigt. Genauso wenig wie mit Haushaltsführung, der richtigen Anordnung der Unterwäsche, Verhaltensregeln gegenüber dem Dienstpersonal oder Hausmitteln gegen Kopfschmerzen. Sobald ich mich mit Françoise über meine Garderobe unterhielt, wurde offenbar, wie wenig ich zum Beispiel über die gebräuchlichen Bezeichnungen für Farben wusste. »Gänseköttelgrün« klang noch halbwegs vertraut, aber dass man unter »Rattenhaar« eine graubraune Schattierung verstand, hatte ich nicht gewusst. Nach den Erfahrungen, die ich bislang gemacht hatte,
Weitere Kostenlose Bücher