Wo die Nacht beginnt
freigesetzt wurde, wenn ich meine magischen Kräfte einsetzte. »Macht Ihr Fortschritte?«
»Ich habe kleine Rauchschwaden um mich herum gespürt«, antwortete ich zaghaft.
»Ihr müsst Euch auf Eure Knoten konzentrieren«, sagte Goody Alsop und blickte vielsagend auf die Schnüre in meinem Schoß. Jeder Farbton fand sich in den Strängen wieder, die die Welt banden, und indem ich diese Schnüre bewegte – sie verwob und verknüpfte –, erschuf ich eine empathische Magie. Aber erst musste ich wissen, welche Farbe ich nehmen musste. Ich hielt den bunten Schopf am oberen Knoten fest. Goody Alsop hatte mir beigebracht, sanft auf die Schnüre zu blasen, während ich mich gleichzeitig auf meine Absichten konzentrierte. Das sollte die Fäden lösen, die ich für den Spruch, den ich gerade zu weben versuchte, benötigte.
Ich blies gegen die Schnüre, die schimmernd zu tanzen begannen. Der gelbe und der braune Faden trennten sich und fielen in meinen Schoß, gefolgt von dem roten, blauen, silbernen und weißen. Ich fuhr mit den Fingern über die unterarmlangen Seidenschnüre. Sechs Schnüre bedeuteten sechs verschiedene Knoten, und jeder war komplexer als der vorhergehende.
Obwohl ich immer noch relativ unbeholfen im Knotenknüpfen war, fand ich diesen Teil des Webens eigenartig beruhigend. Wenn ich die komplizierten Verschlingungen und Verknüpfungen mit gewöhnlichen Schnüren übte, kam regelmäßig etwas heraus, das mich an alte keltische Knüpfarbeiten erinnerte. Die Knoten folgten einer hierarchischen Ordnung. Die ersten beiden waren ein einfacher und ein doppelter Slipstek. Sarah hatte sie manchmal bei ihren Liebes- oder anderen Bindungszaubern verwendet. Aber nur Weberinnen konnten die komplizierten Knoten knüpfen, bei denen sich die Schnur bis zu neunmal auf unterschiedliche Weise kreuzte und sich zum Schluss die losen Enden magisch verbanden, um ein unauflösbares Gewebe zu bilden.
Ich holte tief Luft und konzentrierte mich auf meine Absichten. Eine Tarnung war eine Form von Schutz, und die entsprechende Farbe war Lila. Nur dass ich keine lila Schnur hatte.
Im selben Moment erhoben sich der rote und der blaue Strang in die Luft und verzwirbelten sich so innig, dass sie aussahen wie die lila-fleckigen Kerzen, die meine Mutter in Neumondnächten ins Fenster gestellt hatte.
»Der erste Knoten ist getan, damit fängt die Formel an«, murmelte ich und schlang die lila Schnur zu einem einfachen Slipstek. Die Feuerdrachin ahmte meinen Spruch in einem langgezogenen Krähen nach.
Ich sah auf und war wieder einmal verblüfft, wie schnell die Drachin ihr Aussehen ändern konnte. Wenn sie ausatmete, verblasste sie zu einem Umriss aus waberndem Rauch. Atmete sie ein, zeichneten sich ihre Umrisse schärfer ab. Sie war die perfekte Mischung aus Substanz und Geist, weder das eine noch das andere. Würde ich mich je so ausgeglichen fühlen?
»Ist der zweite Knoten da, wird dadurch die Formel wahr.« Ich flocht einen Doppelknoten in die lila Schnur. Gedankenverloren fragte ich mich, ob ich mich wohl auch in grauem Rauch auflösen konnte, wenn ich es mir wünschte, und zog dabei die gelbe Schnur durch meine Finger. Der dritte Knoten war der erste richtige Weberknoten. Er hatte zwar nur drei Schlingen, war aber trotzdem eine Herausforderung.
»Mit dem Knoten Nummer drei ist die Formel endlich frei.« Ich schlang und drehte die Schnur zu einem dreiblättrigen Kleeblatt und verzwirbelte die Enden. Sie verschmolzen zu einem unauflösbaren Weberinnenknoten.
Unter einem erleichterten Seufzen ließ ich ihn in meinen Schoß sinken, und aus meinem Mund stieg ein grauer Dunst, feiner als Rauch. Er umhüllte mich wie ein Schleier. Ich schnappte erschrocken nach Luft und stieß dabei noch mehr von dem gespenstisch durchsichtigen Nebel aus. Ich sah auf. Wohin war die Feuerdrachin verschwunden? Die braune Schnur sprang von selbst in meine Finger.
»Und der vierte Knoten dann schlägt die Zauberkraft in Bann.« Ich liebte die Brezelform des vierten Knotens mit seinen komplexen Verwindungen und Schlingen.
»Sehr gut, Diana«, sagte Goody Alsop. Dies war der Augenblick, in dem bei meinen Zauberversuchen oft alles aus dem Ruder lief. »Und nun verharrt in diesem Augenblick, und bittet die Drachin, bei Euch zu bleiben. Wenn sie willens ist, wird sie Euch vor allen neugierigen Blicken verbergen.«
Auf das Mitwirken der Feuerdrachin zu hoffen erschien mir gewagt, trotzdem knüpfte ich mit der weißen Schnur den fünfzackigen
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