Wo die Nacht beginnt
Goody Alsop scharf.
»Nicht viel«, gestand ich.
»Diana sollte einen Schluck hiervon nehmen.« Susanna kam mit einer dampfenden Schale auf mich zu. Der Duft von Kamille und Minze erfüllte die Luft. Meine Drachin neigte interessiert den Kopf. »Es ist ein Beruhigungstrank, der hoffentlich ihr Untier besänftigen wird.«
»Wegen der Drachin mache ich mir keine großen Sorgen«, sagte Catherine gleichgültig. »Es ist nie einfach, ihnen Gehorsam beizubringen – als wollte man einen Dämon davon abhalten, Unfug zu treiben.« Sie hatte, dachte ich, leicht reden. Sie brauchte das Untier nicht zu überzeugen, wieder in ihrer Brust zu verschwinden.
»Welche Pflanzen sind in dem Tee?«, fragte ich und nippte an Susannas Gebräu. Seit Marthes Tee war ich misstrauisch bei solchen Kräutermixturen. Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, da sprossen aus der Schale Minzezweige, nach Stroh duftende Kamilleblüten, schaumiger Engelwurz und ein paar steife, glänzende Blätter, die ich nicht erkannte. Ich fluchte.
»Seht ihr!« Catherine deutete auf die Schale. »Es ist so, wie ich gesagt habe. Sobald Diana eine Frage stellt, beantwortet die Göttin sie.«
Susanna blickte erschrocken auf ihr Gefäß, das unter dem Druck der wachsenden Wurzeln geplatzt war. »Ich glaube, Ihr habt recht, Catherine. Aber wenn sie irgendwann Zauberformeln weben soll, statt meinen Hausrat zu zerstören, muss sie bald lernen, die rechten Fragen zu stellen.«
Goody Alsop und Catherine hatten das Geheimnis meiner Macht aufgedeckt: Sie war dummerweise direkt mit meiner Neugier verbunden. Plötzlich ergab so manches rätselhafte Erlebnis Sinn: der weiße Tisch und die bunten Puzzleteilchen, die mich so oft gerettet hatten, wenn ich einem Problem gegenüberstand, die Butter, die aus Sarahs Kühlschrank in Madison geflogen kam, sobald ich mich fragte, ob noch welche da war. Selbst die merkwürdige Weise, auf die Ashmole 782 in der Bibliothek erschienen war, ließ sich dadurch erklären: Als ich den Bestellzettel ausgefüllt hatte, hatte ich mich gefragt, was ich in dem Band wohl finden würde. Und erst heute hatten meine müßigen Überlegungen, wer wohl einen der Sprüche in Susannas Zauberbuch geschrieben haben könnte, dazu geführt, dass sich die Tinte von der Seite gelöst und auf dem Tisch zu einem Porträt ihrer toten Großmutter angeordnet hatte.
Ich hatte Susanna versprechen müssen, die Worte zurückzuholen, sobald ich wusste, wie ich das anstellen sollte.
Und so entdeckte ich, dass die Magie in gewisser Hinsicht dem Geschichtsstudium ähnlich war. Bei beidem ging es weniger darum, die richtigen Antworten zu finden, als vielmehr darum, bessere Fragen zu formulieren.
»Erzählt uns noch einmal, wie Ihr die Hexenflut heraufbeschworen habt, Diana, und von dem Pfeil und Bogen, die in Euren Händen auftauchen, sobald ein geliebter Mensch in Gefahr ist«, schlug Susanna vor. »Vielleicht wird uns das einen Weg zeigen, dem wir folgen können.«
Ich schilderte erneut die Ereignisse an jenem Abend, an dem Matthew mich auf Sept-Tours zurückgelassen und das Wasser aus mir herausgeströmt war, und berichtete danach von dem Morgen in Sarahs Obstgarten, an dem ich die Wasseradern unter der Erde erspürt hatte. Und ich nannte jedes einzelne Ereignis, bei dem der Bogen erschienen war – selbst wenn der dazugehörige Pfeil gefehlt oder ich ihn nicht abgefeuert hatte. Als ich zum Ende kam, seufzte Catherine zufrieden auf.
»Ich verstehe jetzt, wo das Problem liegt. Nur wenn Diana jemanden beschützen oder sich ihren Ängsten stellen muss, ist sie wahrhaft bei sich«, bemerkte Catherine. »Ständig brütet sie über der Vergangenheit oder sorgt sich um die Zukunft. Um einen Zauber heraufzubeschwören, muss eine Hexe ganz und gar im Hier und Jetzt sein.« Meine Feuerdrachin schlug zustimmend mit den Flügeln und schickte damit warme Luftstöße durch den Raum.
»Matthew glaubte von Anfang an, dass meine Magie mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen verbunden ist«, sagte ich nachdenklich.
»Manchmal frage ich mich, ob in diesem Wearh nicht irgendwo eine Hexe steckt«, meinte Catherine. Die anderen lachten über die absurde Vorstellung, dass in Ysabeau de Clermonts Sohn auch nur ein Tropfen Hexenblut fließen könnte.
»Ich glaube, wir können die Feuerdrachin vorerst sich selbst überlassen und uns wieder mit Dianas Tarnzauber beschäftigen«, mischte sich Goody Alsop ein. Damit konnte ich die überschüssige Energie abschirmen, die jedes Mal
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