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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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die gaffenden Höflinge und verbarg mich dadurch vor ihren Blicken.
    Livrierte Diener, jeweils mit einem Schwert oder einer Pike bewehrt, führten uns durch eine schlichte Wachkammer ins Herz des Palastes. In dem labyrinthischen Erdgeschoss herrschte ein Betrieb wie in einem modernen Bürogebäude. Dienstboten und Hofbeamte eilten umher, um Aufträge zu erledigen oder Befehle auszuführen. Matthew wandte sich nach rechts; sofort verstellten ihm unsere bewaffneten Begleiter den Weg.
    »Sie wird dich nicht unter vier Augen empfangen, bevor sie dich nicht in aller Öffentlichkeit auf die Streckbank gelegt hat«, murmelte Gallowglass ihm leise zu. Matthew fluchte.
    Gehorsam folgten wir unserer Eskorte zu einer prächtigen Treppe, auf der sich so viele Besucher drängten, dass die konkurrierenden Gerüche von Menschen, Blumen und Kräutern mir den Atem verschlugen. Jeder versuchte, sich die unangenehmen Ausdünstungen mit seinem eigenen Parfüm vom Leib zu halten, aber ich fragte mich, ob das Ergebnis nicht viel schlimmer war. Als die Menge Matthew bemerkte, teilte sie sich flüsternd. Er war größer als die Mehrheit der Anwesenden und strahlte die gleiche Brutalität aus wie die meisten männlichen Aristokraten, die mir hier begegnet waren. Allerdings war Matthew im Unterschied zu jenen wirklich gefährlich – was die Warmblüter unbewusst bemerkten.
    Nachdem wir drei Vorzimmer durchschritten hatten, in denen sich gepolsterte, parfümierte und juwelenbehängte Höflinge beiderlei Geschlechts und jeden Alters drängten, blieben wir vor einer verschlossenen Tür stehen. Dort warteten wir. Das Flüstern um uns herum steigerte sich zu leisem Gemurmel. Ein Mann machte einen Witz, und seine Gefährten begannen wie Schuljungen zu kichern. Matthews Kiefer begann zu mahlen.
    »Warum müssen wir warten?«, fragte ich so leise, dass nur Matthew und Gallowglass mich hören konnten.
    »Weil es der Königin so gefällt – und weil sie dem Hof zeigen will, dass ich nur ein einfacher Diener bin.«
    Als wir endlich zu Ihrer Majestät vorgelassen wurden, stellte ich überrascht fest, dass auch der Audienzsaal gesteckt voll war. »Privat« war am Hofe Elisabeths I. ein relativer Begriff. Ich hielt nach der Königin Ausschau, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Ich fürchtete, dass wir noch länger warten mussten, und merkte, wie mich allmählich der Mut verließ.
    »Warum sieht Matthew Roydon mit jedem Jahr, das ich älter werde, zwei Jahre jünger aus?«, fragte eine überraschend freundliche Stimme vom Kamin her. Die am verschwenderischsten gekleideten, am heftigsten parfümierten und am dicksten geschminkten Personen im Raum drehten sich um und studierten uns. Dadurch gaben sie den Blick auf Elisabeth frei, die Bienenkönigin, die im Zentrum des Stocks saß. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich stand einer Legende gegenüber.
    »Ich kann an Euch keinerlei Veränderung feststellen, Eure Majestät«, antwortete Matthew und verbeugte sich leicht aus der Hüfte. » Semper eadem, wie es heißt.« Die gleichen Worte standen auf dem Banner unter dem königlichen Wappen, das den Kamin schmückte. Immer dieselbe.
    »Selbst mein Schatzkanzler bringt eine tiefere Verbeugung zustande als Ihr, Sir, und den plagt das Rheuma.« Schwarze Augen funkelten hinter einer Maske aus Rouge und Puder hervor. Die Königin presste die Lippen unter der scharfen Hakennase zu einem dünnen Strich zusammen. »Außerdem bevorzuge ich in diesen Zeiten ein anderes Motto: Video et taceo.«
    Ich sehe und schweige. Das verhieß nichts Gutes.
    Matthew richtete sich ungerührt wieder auf, als wäre er der Kronprinz und nicht ein Spion der Königin. Mit durchgestreckten Schultern und hoch erhobenem Kopf war er bei Weitem der Größte im Raum. Nur zwei Männer waren annähernd so groß wie er: Henry Percy, der an der Wand lehnte und elend aussah, und dazu ein langbeiniger Mann mit Lockenschopf, der etwa so alt war wie der Earl und mit mürrischer Miene direkt neben der Königin stand.
    »Vorsicht«, murmelte Burghley, als er an Matthew vorbeiging, und tarnte seine Warnung dabei mit dem Klopfen seines Stocks. »Ihr habt mich gerufen, Majestät?«
    »Geist und Schatten an einem Ort. Sagt mir, Raleigh, verstößt das nicht gegen irgendein düsteres philosophisches Prinzip?«, fragte der Begleiter der Königin scheinbar gelangweilt. Seine Freunde deuteten lachend auf Lord Burghley und Matthew.
    »Hättet Ihr Oxford statt Cambridge besucht, Essex, dann wüsstet Ihr die

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