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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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»Also. Zum Geschäft. Warum kommt die Gemahlin von Gabriel ben Ariel von so weit her, um nach einem Buch zu suchen?« Ich hatte das beunruhigende Gefühl, dass er nicht von meinem heutigen Marsch über den Fluss und auch nicht von meiner Reise quer durch Europa sprach. Wie konnte er wissen, dass ich nicht aus dieser Zeit stammte?
    Sobald sich in meinem Geist diese Frage herausgeschält hatte, sah ich über Rabbi Löws Schulter ein Männergesicht schweben. Es war zwar jung, doch um die tief liegenden grauen Augen hatten sich bereits Sorgenfalten eingegraben, und der dunkelbraune Bart war in der Mitte des Kinns ergraut.
    »Ein anderer Hexer hat Euch von mir erzählt«, erkannte ich.
    Rabbi Löw nickte. »In Prag verbreiten sich Neuigkeiten im Nu. Bedauerlicherweise stimmt nur die Hälfte von dem, was erzählt wird.« Er wartete kurz ab. »Das Buch?«, hakte er dann freundlich nach.
    »Wir glauben, es könnte uns verraten, wie Kreaturen wie Matthew und ich auf diese Welt kamen«, erklärte ich.
    »Das ist kein Mysterium. Gott hat Euch erschaffen, so wie er mich und Kaiser Rudolf schuf«, antwortete der Maharal und lehnte sich auf seinem Hocker zurück. Es war eine typische Lehrerpose, die sich fast von selbst entwickelt, wenn man Studenten Raum geben will, um mit neuen Ideen zu ringen. Ich spürte eine vertraute ängstliche Anspannung, während ich an meiner Antwort feilte. Schließlich wollte ich Rabbi Löw nicht enttäuschen.
    »Mag sein, aber Gott hat einige von uns mit zusätzlichen Gaben ausgestattet. Ihr könnt keine Toten zum Leben erwecken, Rabbi Löw«, erwiderte ich, als wäre er ein Tutor in Oxford. »Und es tauchen auch keine fremden Gesichter vor Eurem Auge auf, wenn Ihr eine simple Frage stellt.«
    »Das ist richtig. Aber Ihr herrscht nicht über Böhmen, und das Deutsch Eures Gemahls ist besser als meines, obwohl ich mich seit Kindertagen in dieser Sprache geübt habe. Jeder von uns verfügt über einzigartige Gaben, Frau Roydon. Auch wenn uns die Welt noch so chaotisch erscheint, lässt sich darin ein göttlicher Plan erkennen.«
    »Ihr sprecht mit solcher Zuversicht von einem göttlichen Plan, weil Ihr aus der Thora wisst, woher Ihr stammt«, wandte ich ein. » Bereschit – Am Anfang – so nennt Ihr doch das Buch, das bei den Christen Genesis heißt. Habe ich nicht recht, Rabbi Löw?«
    »Es scheint, als hätte ich meine theologischen Diskussionen mit dem falschen Mitglied aus Ariels Familie geführt«, meinte Rabbi Löw trocken, aber seine Augen funkelten dabei.
    »Wer ist Ariel?«, wollte ich wissen.
    »Mein Vater ist unter Rabbi Löws Volk als Ariel bekannt«, erklärte Matthew.
    »Der Racheengel?« Ich runzelte die Stirn. Das klang gar nicht nach dem Philippe, den ich kannte.
    »Der Herr, der über den Erdkreis gebietet. Manche nennen ihn auch den Löwen von Jerusalem. In letzter Zeit hatte mein Volk Grund, dem Löwen dankbar zu sein, obwohl die Juden seine vielen Untaten nicht vergessen haben – und nie vergessen werden. Aber Ariel ist um Besserung bemüht. Und das letzte Urteil bleibt Gott allein vorbehalten.« Rabbi Löw wägte die verschiedenen Alternativen gegeneinander ab und fällte dann eine Entscheidung. »Der Kaiser hat mir tatsächlich ein solches Buch gezeigt. Leider gewährte mir Seine Majestät kaum Zeit, es zu studieren.«
    »Alles, was Ihr uns darüber erzählen könnt, würde uns weiterhelfen«, erklärte Matthew sichtbar gespannt. Er beugte sich vor und drückte die Knie an die Brust, genau wie Jack, wenn er einer von Pierres Geschichten lauschte. In diesem Moment wusste ich genau, wie mein Mann als Kind ausgesehen haben musste, als er das Zimmermannshandwerk erlernt hatte.
    »Kaiser Rudolf rief mich in seinen Palast, weil er hoffte, ich könnte den Text lesen. Der Alchemist, den man überall den meschuggenen Edward nennt, hatte es aus der Bibliothek seines Meisters, des Engländers John Dee.« Rabbi Löw schüttelte seufzend den Kopf. »Es ist Gottes unerforschlicher Ratschluss, warum er Dee gebildet, aber töricht werden ließ und Edward unwissend, aber gerissen.« Er schwieg gedankenverloren und fuhr dann fort: »Der meschuggene Edward erklärte dem Kaiser, dass dieses uralte Buch das Geheimnis der Unsterblichkeit enthielte. »Ewig zu leben ist der Traum jedes mächtigen Mannes. Aber der Text war in einer Sprache verfasst, die niemand außer dem Alchemisten verstand.«
    »Also rief Rudolf Euch hinzu, weil er glaubte, es wäre ein uralter hebräischer Text«, ergänzte ich

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