Wo die Nacht beginnt
Grund«, erklärte Rabbi Löw.
»Ich würde ihn gern kennenlernen, Rabbi Löw.« Es gab so wenige Weber in der Welt. Ich wollte keinesfalls die Gelegenheit verpassen, einen von ihnen zu treffen.
Matthew räusperte sich und wollte protestieren.
»Das ist wichtig, Matthew.« Ich legte die Hand auf seinen Arm. »Ich habe Goody Alsop versprochen, meine Ausbildung nicht zu unterbrechen, während wir hier sind.«
»Zwar sollte man in der Ehe eins werden, Gabriel, andererseits sollte sie für keinen von beiden ein Gefängnis sein«, mahnte Rabbi Löw.
»Hier geht es weder um unsere Ehe noch darum, dass du eine Hexe bist.« Matthew richtete sich auf und füllte mit seiner Größe fast den ganzen Raum aus. »Es kann für eine Christin gefährlich sein, mit einem Juden zusammen gesehen zu werden.« Als ich ihm widersprechen wollte, schüttelte Matthew den Kopf. »Nicht für dich. Für ihn. Du musst genau das tun, was Rabbi Löw dir sagt. Ich will nicht, dass ihm oder sonst jemandem im jüdischen Viertel etwas passiert – nicht deinetwegen.«
»Ich werde nichts tun, wodurch ich – oder Rabbi Löw – Aufmerksamkeit erregen könnte«, versprach ich.
»Dann geh zu diesem Weber. Ich warte so lange im Ungelt.« Matthew strich mit den Lippen über meine Wange und war verschwunden, bevor er seine Entscheidung bereuen konnte. Rabbi Löw blinzelte.
»Für jemanden von seiner Größe ist Gabriel erstaunlich schnell«, sagte der Rabbi und stand auf. »Er erinnert mich an den kaiserlichen Tiger.«
»Katzen erkennen in Matthew einen der ihren.« Ich musste an Sarahs Katze Tabitha denken.
»Trotzdem stört es Euch nicht, dass Ihr ein Tier geehelicht habt. Gabriel kann sich glücklich schätzen, Euch zur Frau erkoren zu haben.« Rabbi Löw griff nach einem dunklen Umhang und rief seinem Diener zu, dass wir ausgehen würden.
Wir gingen vermutlich in die entgegengesetzte Richtung los, allerdings war ich mir dessen nicht sicher, weil ich mich ganz auf die frisch gepflasterten Straßen konzentrierte, die ersten, die ich seit meiner Ankunft in der Vergangenheit sah. Ich fragte Rabbi Löw, wem dieser ungewöhnliche Luxus zu verdanken war.
»Herr Maisel hat das bezahlt und dazu ein Badehaus für Frauen. Er hilft dem Kaiser bei kleineren finanziellen Angelegenheiten – wie dessen heiligem Krieg gegen die Türken.« Rabbi Löw umging eine Pfütze. Dabei fiel mir der goldene Ring auf, der über seinem Herzen in den Stoff gestickt war.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich und nickte zu dem Abzeichen hin.
»Der soll ahnungslose Christen warnen, dass ich ein Jude bin. Ich habe lange geglaubt, dass selbst die Dümmsten das irgendwann merken würden, ob mit oder ohne Abzeichen. Aber die Behörden bestehen darauf, dass es keinen Zweifel geben darf.« Rabbi Löw senkte die Stimme. »Und es ist weit besser als der Hut, den die Juden früher tragen mussten. In grellem Gelb und wie eine Schachfigur geformt. Der war wirklich nicht zu übersehen.«
»Genauso würden die Menschen mich und Matthew auch behandeln, wenn sie wüssten, dass wir unter ihnen leben.« Ich schauderte. »Manchmal lebt es sich besser im Verborgenen.«
»Das tut Gabriels Kongregation also? Sie sorgt dafür, dass Ihr unentdeckt bleibt?«
»Falls sie das versucht, dann versagt sie erbärmlich dabei.« Ich lachte kurz auf. »Frau Huber glaubt, ein Werwolf ginge im Hirschgraben um. Eure Nachbarn in Prag glauben, dass Edward Kelley fliegen kann. Die Menschen in Deutschland und Schottland gehen auf Hexenjagd. Und Elisabeth von England weiß ebenso von uns wie Rudolf von Österreich. Wahrscheinlich sollten wir dankbar sein, dass manche Könige und Königinnen uns tolerieren.«
»Tolerieren genügt nicht immer. Die Juden werden in Prag toleriert – wenigstens einstweilen –, aber das kann sich von einem Moment zum nächsten ändern. Dann würden wir uns irgendwo auf dem freien Feld wiederfinden, wo wir im Schnee verhungern müssten.« Rabbi Löw bog in eine schmale Gasse und betrat ein Haus, das aussah wie jedes Haus in jeder Gasse, durch die wir gekommen waren. Drinnen saßen zwei Männer an einem Tisch voller mathematischer Instrumente, Bücher, Kerzen und Papier.
»Dank der Astronomie werden wir Gemeinsamkeiten mit den Christen finden!«, rief einer der Männer auf Deutsch und schob dem anderen energisch ein Blatt zu. Er war etwa fünfzig, hatte einen dichten grauen Bart und dichte Brauen, die seine Augen überschatteten. Außerdem hatte er wie fast alle Gelehrten einen
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