Wo die Nacht beginnt
Ansatz zum Buckel.
»Es reicht, David!«, brach es aus dem anderen heraus. »Gemeinsamkeiten sind vielleicht nicht das Gelobte Land, auf das wir hoffen.«
»Abraham, diese Dame wünscht Euch zu sprechen«, unterbrach Rabbi Löw das Streitgespräch.
»Alle Frauen in Prag wollen sich mit Abraham treffen.« David, der Gelehrte, erhob sich. »Wessen Tochter braucht diesmal einen Liebestrank?«
»Du solltest nicht nach ihrem Vater, sondern lieber nach ihrem Mann fragen. Das ist Frau Roydon, die Gemahlin des Engländers.«
»Die Frau, die der Kaiser La Diosa nennt?« David schlug Abraham lachend auf die Schulter. »Dein Glück hat dich verlassen, mein Freund. Jetzt stehst du ganz allein zwischen einem König, einer Göttin und einem Nachzehrer.« Der uralte Begriff für einen Untoten war mir bekannt.
Abraham reagierte mit einer hebräischen Beleidigung, wie ich aus Rabbi Löws missbilligender Miene schloss, und drehte sich dann zu mir um. Er und ich sahen uns an, Hexer und Hexe, aber das ertrugen wir beide nur schwer. Ich schnappte nach Luft und wandte mich ab, während er das Gesicht verzog und die Fingerspitzen gegen seine Lider presste. Meine Haut kribbelte von Kopf bis Fuß, nicht nur dort, wo mich sein Blick getroffen hatte. Und die Luft zwischen uns schillerte in den buntesten Farben.
»Ist sie diejenige, die Ihr erwartet habt, Abraham ben Elijah?«, fragte Rabbi Löw.
»Das ist sie«, sagte Abraham. Er drehte mir den Rücken zu und stützte die Fäuste auf die Tischplatte. »Allerdings haben mir meine Träume verschwiegen, dass sie die Frau eines Alukah ist.«
» Alukah?« Ich sah Rabbi Löw an und wartete auf eine Erklärung. Falls es ein deutsches Wort war, kannte ich es nicht.
»Ein Blutsauger. So nennen wir Juden Kreaturen wie Euren Gemahl«, antwortete er. »Auch wenn das nicht viel heißt, Abraham, doch Gabriel war mit diesem Treffen einverstanden.«
»Ihr glaubt, ich verlasse mich auf das Wort dieses Monsters, das im Kahal sitzt und über mein Volk richtet, während es sich blind gegen jene stellt, die uns ermorden?«, rief Abraham.
Ich wollte ihm entgegnen, dass dies nicht derselbe Gabriel – derselbe Matthew – war, blieb aber stumm. Was ich jetzt sagte, konnte sechs Monate später, wenn der Matthew aus dem sechzehnten Jahrhundert wieder seinen rechtmäßigen Platz eingenommen hatte und ich nicht mehr anwesend war, alle in diesem Raum das Leben kosten.
»Ich bin nicht wegen meines Mannes oder der Kongregation hier.« Ich trat einen Schritt vor. »Sondern meinetwegen.«
»Warum?«, wollte Abraham wissen.
»Weil auch ich Zauber zu weben vermag. Und es gibt nicht mehr viele von uns.«
»Es waren mehr, bevor der Kahal – Eure Kongregation – seine Regeln erließ«, wandte Abraham wütend ein. »Und mit Gottes Hilfe werden wir erleben, dass mehr Kinder mit dieser Gabe geboren werden.«
»Wo wir gerade von Kindern sprechen, wo ist Euer Golem?«, fragte ich.
David lachte wiehernd. »Mutter Abraham! Was würde Eure Familie in Chelm dazu sagen?«
»Sie würde sagen, dass ich einen Esel mit nichts als Rosinen im Kopf zum Freund habe, David Gans!« Abraham wurde tatsächlich rot.
Unter Davids fröhlichem Gelächter erwachte meine Feuerdrachin, die tagelang geruht hatte. Bevor ich sie aufhalten konnte, hatte sie sich zur Decke emporgeschwungen. Rabbi Löw und seine Freunde starrten sie mit großen Augen an.
»Das tut sie manchmal. Deswegen braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen«, erklärte ich entschuldigend, dann befahl ich meiner ungehorsamen Vertrauten entschieden: »Komm sofort herunter!«
Meine Feuerdrachin klammerte sich nur noch fester an die Wand und schrie mich an. Der alte Verputz war nicht dazu gedacht, ein Geschöpf mit drei Meter Spannweite zu halten. Ein großer Brocken löste sich, und sie schnatterte erschrocken auf. Ihr Schwanz schlug zur Seite und verankerte sich in der nächsten Wand, um ihr zusätzlich Halt zu geben. Die Feuerdrachin kreischte triumphierend.
»Wenn du nicht sofort damit aufhörst, erlaube ich Gallowglass, dir einen wirklich fiesen Namen zu verpassen«, murmelte ich. »Sieht jemand ihre Leine? Sie sieht aus wie eine fein gesponnene Kette.« Ich ging die Scheuerleisten ab und entdeckte sie hinter dem Korb mit dem Feuerholz, immer noch mit mir verbunden. »Kann jemand den Anfang der Leine halten, während ich sie ihr anlege?« Ich drehte mich um, die Hände voller durchscheinender Kettenglieder.
Die Männer waren verschwunden.
»Typisch«, murrte ich.
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