Wo die Nacht beginnt
Lobero?«
»Vor allem Lobero.«
Jack plapperte das ganze Abendessen über wie ein Papagei, stritt mit Annie herum und schaffte es, auf verschlungenen Wegen Lobero mit Essen zu versorgen. Über dem Chaos, das die Kinder und der Hund veranstalteten, hätte man beinahe vergessen können, dass Matthew neue Pläne für den Abend schmiedete. Einerseits war er ein Rudeltier und genoss es, für so viele Wesen verantwortlich zu sein. Andererseits war er ein Raubtier, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass er mich an diesem Abend als Beute ausgewählt hatte. Das Raubtier gewann. Nicht einmal Tereza und Karolína durften bleiben.
»Warum hast du sie alle weggeschickt?« Wir saßen immer noch im Wohnzimmer im ersten Stock vor dem Kamin, umgeben von den tröstenden Gerüchen des Abendessens.
»Was war heute Nachmittag los?«, fragte er.
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Dräng mich nicht. Nicht heute Nacht«, warnte mich Matthew.
»Glaubst du etwa, ich hatte einen leichten Tag?« Zwischen uns knisterten blaue und schwarze Stränge in der Luft. Sie sahen bösartig aus und fühlten sich noch schlimmer an.
»Nein.« Matthew schob den Stuhl zurück. »Aber du verschweigst mir etwas, Diana. Was passierte bei dem Hexer?«
Ich starrte ihn an.
»Ich warte.«
»Du kannst warten, bis du schwarz wirst, Matthew. Ich bin nicht deine Dienerin. Ich habe dir eine Frage gestellt.« Die Stränge verfärbten sich lila, begannen zu zappeln und sich zu krümmen.
»Ich habe sie weggeschickt, weil sie dieses Gespräch nicht mithören sollen. Also, was war los?« Der Nelkengeruch verschlug mir fast den Atem.
»Ich habe den Golem gesehen. Und seinen Erzeuger, einen jüdischen Weber namens Abraham. Er hat genau wie ich die Macht, Dingen Leben einzuhauchen.«
»Ich habe dir schon gesagt, dass es mir nicht gefällt, wenn du mit Leben und Tod spielst.« Matthew schenkte sich noch mehr Wein ein.
»Du spielst ständig damit, und ich habe das akzeptiert, weil es ein Teil von dir ist. Du wirst akzeptieren müssen, dass es auch ein Teil von mir ist.«
»Und dieser Abraham. Wer ist das?«, wollte Matthew wissen.
»Mein Gott, Matthew. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, nur weil ich einen anderen Weber kennengelernt habe.«
»Eifersüchtig? Über dieses Warmblütergefühl bin ich längst hinaus.« Er nahm einen Schluck Wein.
»Inwiefern unterscheidet sich dieser Nachmittag von den vielen Tagen, die wir getrennt verbracht haben, weil du für die Kongregation oder für deinen Vater arbeiten musstest?«
»Er unterscheidet sich dadurch, dass ich jede einzelne Person rieche, mit der du heute zusammen warst. Es ist schlimm genug, dass du ständig Annies und Jacks Geruch mit dir herumträgst. Gallowglass und Pierre bemühen sich, dich nicht zu berühren, aber das lässt sich nicht vermeiden – sie sind zu viel mit dir zusammen. Dazu kommt jetzt noch der Geruch des Maharal und der von Herrn Maisel und der von mindestens zwei weiteren Männern. Der einzige Geruch, den ich an dir ertrage, ist mein eigener, aber ich kann dich nicht in einen Käfig sperren, darum erdulde ich alles, so gut ich kann.« Matthew stellte den Kelch ab und sprang auf, um Abstand zu mir zu schaffen.
»Für mich hört sich das wie Eifersucht an.«
»Es ist aber keine Eifersucht. Mit Eifersucht könnte ich umgehen«, widersprach er wütend. »Was ich jetzt empfinde – dieses schreckliche, nagende Gefühl von Verlust und Zorn, weil ich in dem Chaos, das unser Leben darstellt, kein klares Bild von dir mehr habe –, kann ich unmöglich kontrollieren.« Seine Pupillen wurden immer größer.
»Das kommt daher, dass du ein Vampir bist. Du bist besitzergreifend. So bist du eben«, erklärte ich gelassen und ging trotz seines Zornes auf ihn zu. »Und ich bin eine Hexe. Du hast versprochen, mich so anzunehmen, wie ich bin – hell und dunkel, Frau und Hexe, ein eigenes Wesen und zugleich deine Frau.« Was, wenn er das inzwischen anders sah? Wenn er nicht mehr bereit war, ein so wechselhaftes Leben zu führen?
»Ich nehme dich sehr wohl so an, wie du bist.« Matthew streckte einen Finger aus und legte ihn an meine Wange.
»Nein, Matthew. Du duldest mich an deiner Seite, weil du glaubst, dass ich eines Tages lerne, meine Magie zu beherrschen. Rabbi Löw hat mich gewarnt, dass Toleranz auch zurückgezogen werden kann und dass man dann allein auf weiter Flur steht. Meine Magie ist nichts, das sich beherrschen lässt. Sie ist ich. Und ich werde mich nicht vor dir verstecken. Das
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