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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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»Drei erwachsene Männer und eine Frau, und wer muss den Drachen bändigen?«
    Schwere Schritte rumpelten über den Holzboden. Ich beugte mich zur Seite, sodass ich durch die Türöffnung sehen konnte. Eine kleine, rötlichgraue Kreatur in schwarzem Gewand und mit schwarzer Kappe auf dem kahlen Kopf starrte meine Feuerdrachin an.
    »Nein, Yosef.« Abraham stellte sich mit erhobenen Händen zwischen mich und das Wesen. Aber der Golem – denn dies war mit Sicherheit jenes legendäre, aus dem Schlamm der Moldau geformte Geschöpf, das mit einem Zauberspruch zum Leben erweckt worden war – stapfte weiter auf die Feuerdrachin zu.
    »Yosef will unbedingt zu dem Hexendrachen«, sagte David.
    »Ich glaube, der Golem liebt die schönen Frauen«, stellte Rabbi Löw fest. »Ich habe gelesen, der Vertraute eines Hexenmeisters habe oft die gleichen Eigenschaften wie sein Erschaffer.«
    »Der Golem ist Abrahams Vertrauter?« Ich war entsetzt.
    »Ja. Allerdings erschien er nicht gleich, als ich meinen ersten Zauberspruch webte. Ich dachte schon, ich hätte keinen Vertrauten.« Abraham winkte Yosef zu sich, aber der Golem starrte, ohne zu blinzeln, auf die Feuerdrachin an der Wand. Als wüsste sie, dass sie einen Bewunderer hatte, streckte die Drachin die Schwingen aus, sodass sich das Licht in dem feinen Gewebe fing.
    Ich hob die Kette an. »Und so was war nicht dabei?«
    » Euch scheint die Kette auch nicht zu helfen«, bemerkte Abraham.
    »Ich muss noch viel lernen!«, erwiderte ich entrüstet. »Die Feuerdrachin erschien, als ich meinen ersten Zauber webte. Wie habt Ihr Yosef erschaffen?«
    Abraham zog eine Handvoll grober Schnüre aus seiner Tasche. »Mit solchen Schnüren.«
    »Solche Schnüre habe ich auch.« Ich griff in den in meiner Rocktasche verborgenen Beutel und zog die Seidengarne heraus.
    »Helfen Euch die Farben, die Stränge der Welt zu ordnen und sie geschickter einzusetzen?« Neugierig auf diese Variation des Webens trat Abraham auf mich zu.
    »Ja. Jede Farbe hat ihre eigene Bedeutung, und mithilfe der Bänder kann ich mich auf eine ganz bestimmte Frage konzentrieren, wenn ich einen neuen Zauber fabriziere.« Ich sah verwirrt auf den Golem. »Aber wie habt Ihr es geschafft, mit Euren Schnüren ein lebendes Wesen zu erschaffen?«
    »Eine Frau kam zu mir und bat mich um einen neuen Zauber, der ihr bei der Empfängnis helfen sollte. Während ich über ihre Bitte nachsann, begann ich die Schnüre zu verknoten, und plötzlich hatte ich etwas in der Hand, das wie ein Skelett aussah.« Abraham trat an den Schreibtisch, nahm sich ein Blatt von Davids Papieren und skizzierte, ohne sich um die Proteste seines Freundes zu scheren, was er meinte.
    »Das sieht aus wie eine Marionette«, kommentierte ich seine Zeichnung. Neun Knoten waren mit neun geraden Schnurabschnitten verbunden: ein Knoten für den Kopf, einer für das Herz, zwei für die Hände, noch einer für das Becken, zwei weitere für die Knie und zuletzt noch zwei für die Füße.
    »Ich mischte Lehm mit meinem Blut und drückte es wie Fleisch an die Schnüre. Am nächsten Morgen saß Yosef vor dem Kamin.«
    »Ihr habt Lehm zum Leben erweckt«, sagte ich und sah auf den verzückten Golem.
    Abraham nickte. »Ein Zauber mit dem geheimen Namen Gottes im Mund. Solange der Zauber darin bleibt, bewegt sich Yosef und gehorcht meinen Befehlen. Wenigstens meistens.«
    »Yosef kann keine eigenen Entscheidungen fällen«, erläuterte Rabbi Löw. »Denn allein mit Lehm und Blut haucht man einem Geschöpf keine Seele ein. Also darf Abraham den Golem nicht aus den Augen lassen, weil er ständig fürchten muss, dass Yosef Unfug anstellen könnte.«
    »Eines Freitags vergaß ich, vor dem Gebet den Zauber aus seinem Mund zu nehmen«, gestand Abraham verlegen. »Und nachdem niemand Yosef sagte, was er tun sollte, spazierte er aus dem jüdischen Viertel hinaus und versetzte unsere Christennachbarn in Angst und Schrecken. Jetzt glauben die Juden, Yosef wäre hier, um uns zu beschützen.«
    »Vater sein dagegen sehr …«, murmelte ich lächelnd. »A propos Elternpflichten …« Meine Feuerdrachin war eingeschlafen und hing, die Wange an den Verputz gedrückt, leise schnarchend an der Wand. Sanft, um sie nicht zu erschrecken, zog ich an der Kette, bis sie sich von der Wand löste. Sie schlug schläfrig mit den Schwingen, wurde durchsichtig und löste sich erst in Rauch und dann in nichts auf, um in meinen Körper zurückzukehren.
    »Ich wünschte, Yosef könnte das auch«, sagte

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