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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Kopf bewahren. Und dann sollten wir schleunigst Prag verlassen.«
    Matthews Worte gingen mir immer noch im Kopf herum, als wir uns am nächsten Nachmittag mit Rudolfs engstem Hofstaat zu einem Ritt durch den Hirschgraben trafen. Eigentlich hatten wir zur kaiserlichen Jagdhütte am Weißen Berg hinausreiten und dort Hirsche jagen wollen, aber der Himmel war so grau, dass wir in der Nähe der Burg blieben. Es war zwar schon die zweite Aprilwoche, aber der Frühling kam spät nach Prag, und es konnte immer noch schneien.
    Rudolf rief Matthew zu sich und überließ mich schutzlos den Hofdamen, die vor Neugier platzten und ansonsten nichts mit mir anzufangen wussten.
    Der Kaiser und seine Begleiter sprachen freimütig dem Wein zu, den die Diener herumreichten. Angesichts der halsbrecherischen Jagd, die uns erwartete, wünschte ich mir im Stillen eine Promillegrenze für Reiter. Nicht dass ich mir Matthews wegen Sorgen gemacht hätte. Zum einen hielt er sich auffallend zurück. Zum anderen würde er kaum sterben, selbst wenn sein Pferd frontal gegen einen Baum prallte.
    Nach einiger Zeit erschienen zwei Männer mit einer langen Stange auf den Schultern, dem Rastplatz für die prachtvollen Falken, die heute Nachmittag die Vögel erlegen sollten. Ihnen folgten zwei weitere Männer, die einen einzelnen Vogel trugen. Er trug eine Haube über den Augen, hatte einen tödlich geschwungenen Schnabel und gefiederte Beine, die fast wie Stiefel wirkten. Und er war riesig.
    »Aha!«, rief Rudolf und rieb sich freudig die Hände. »Da kommt meine Adlerin Augusta. Ich wollte sie La Diosa zeigen, selbst wenn wir sie hier nicht fliegen lassen können. Sie braucht mehr Platz zum Jagen, als der Hirschgraben bietet.«
    Augusta war ein passender Name für ein so stolzes Geschöpf. Der Adler war fast einen Meter groß und hielt, trotz der Haube, das Haupt hoch erhoben.
    »Sie spürt, dass wir sie beobachten«, murmelte ich.
    Jemand übersetzte das dem Kaiser, und er schenkte mir ein wohlwollendes Lächeln. »Jägerinnen verstehen einander. Nehmt ihr die Haube ab. Damit Augusta und La Diosa sich kennenlernen.«
    Ein ergrauter alter Mann mit krummen Beinen und bedächtiger Miene näherte sich dem Adler. Er zupfte an den Lederriemen, mit denen die Haube auf Augustas Kopf gehalten wurde, und nahm sie dem Vogel dann ab. Die goldenen Federn um Hals und Kopf bauschten sich in der Brise, wodurch die Textur noch besser zu erkennen war. Augusta spürte Freiheit und Gefahr zugleich und spreizte instinktiv die Schwingen, was man gleichzeitig als Fluchtreflex oder Warnung interpretieren konnte.
    Aber für mich interessierte sich Augusta kaum. Mit unbeirrbarem Instinkt drehte sie den Kopf dem einzigen Raubtier in der ganzen Gesellschaft zu, das noch gefährlicher war als sie. Matthew erwiderte ernst und traurig ihren Blick. Augusta reagierte mit einem schrillen Schrei auf sein Mitgefühl.
    »Ich habe Augusta nicht herbringen lassen, damit sie Herrn Roydon unterhält, sondern damit sie La Diosa kennenlernt«, beschwerte sich Rudolf.
    »Und ich danke Euch dafür, Eure Majestät«, nutzte ich die Gelegenheit, den launischen Monarchen auf mich aufmerksam zu machen.
    »Augusta hat schon zwei Wölfe erlegt, müsst Ihr wissen«, erklärte Rudolf mit einem vielsagenden Blick auf Matthew. Der Kaiser plusterte sein Gefieder noch heftiger auf als sein geliebter Vogel. »Beide Male gab es einen blutigen Kampf.«
    »Wäre ich der Wolf, würde ich mich niederlegen und der Dame ihren Willen lassen«, sagte Matthew gedehnt. An diesem Nachmittag war er der perfekte Höfling: in ein grau-grünes Ensemble gekleidet, das schwarze Haar unter eine verwegene Kappe gesteckt, die zwar kaum Schutz vor dem Wetter, dafür jedoch genug Platz für ein silbernes Abzeichen bot – mit dem Uroboros der de Clermonts als Wappentier –, damit Rudolf keine Sekunde vergaß, mit wem er es zu tun hatte.
    Die anderen Höflinge schmunzelten und kicherten. Rudolf vergewisserte sich erst, dass man nicht über ihn lachte, und stimmte dann ein. »Noch etwas, das wir gemeinsam haben, Herr Roydon«, sagte er und schlug Matthew auf die Schulter. Er sah mich scharf an. »Wir haben beide keine Angst vor starken Frauen.«
    Die Spannung löste sich, der Falkner setzte Augusta erleichtert auf die Stange zurück und fragte den Kaiser dann, welchen Vogel er an diesem Nachmittag einsetzen wolle, um den königlichen Auerhahn zu erlegen. Rudolf ließ sich Zeit bei der Auswahl. Sobald sich der Kaiser für einen

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