Wo die Nacht beginnt
und sah mich nachdenklich an. »Wenn überhaupt, dann sollte das Thema Diana und Aktäon lauten.«
»Das Thema ist so gewöhnlich, Eure Majestät, und eher englisch«, meinte Matthew melancholisch. Rudolf errötete. »Vielleicht sollte man stattdessen lieber Demeter und Persephone wählen. Das passt besser zur Jahreszeit.«
»Oder die Odyssee«, schlug Strada vor und warf mir einen gehässigen Blick zu. »Frau Roydon könnte die Circe spielen und uns alle in Schweinchen verwandeln.«
»Interessant, Ottavio«, sagte Rudolf und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine dicke Unterlippe. »Ich würde vielleicht ganz gern den Odysseus spielen.«
Träum weiter , dachte ich wütend. Auf gar keinen Fall würde ich die Schlafzimmerszene nachstellen, in der Odysseus der Hexe das Versprechen abnimmt, ihn nicht seiner Männlichkeit zu berauben.
»Wenn ich einen Vorschlag vorbringen dürfte«, meldete ich mich zu Wort, um die Katastrophe abzuwenden.
»Natürlich, natürlich«, sagte Rudolf ernst, nahm meine Hand und tätschelte sie fürsorglich.
»In der Geschichte, die mir vorschwebt, müsste jemand die Rolle von Zeus, dem Göttervater, übernehmen«, erklärte ich dem Kaiser und entzog ihm behutsam meine Hand.
»Ich wäre bestimmt ein überzeugender Zeus«, erklärte er eifrig, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. »Und Ihr werdet die Callisto spielen?« Nie im Leben. Genauso wenig würde Rudolf so tun, als würde er mich vergewaltigen und schwängern.
»Nein, Eure Majestät. Wenn Ihr darauf besteht, dass ich an dem Spiel teilnehme, dann werde ich die Göttin des Mondes spielen.« Ich schob meine Hand in Matthews Ellenbeuge. »Und Matthew wird, um für seine Bemerkung von vorhin zu büßen, den Endymion geben.«
»Endymion?« Rudolfs Lächeln begann zu wackeln.
»Armer Rudolf. Schon wieder in die Falle getappt«, murmelte Matthew so leise, dass nur ich es hören konnte. »Endymion, Eure Majestät«, sagte er dann so laut, dass alle ihn verstanden, »den schönen Jüngling, der in einen Zauberschlaf fällt, um seine Unsterblichkeit und Dianas Keuschheit zu bewahren.«
»Ich kenne die Sage wohl, Herr Roydon!«, warnte Rudolf ihn.
»Ich bitte um Vergebung, Eure Majestät«, entschuldigte sich Matthew unter einer eleganten, aber nicht allzu tiefen Verbeugung. »Es wird bestimmt ein prachtvoller Anblick, wenn Diana in ihrem Wagen eintrifft und sehnsüchtig auf den Geliebten blickt.«
Inzwischen leuchtete Rudolfs Gesicht in kaiserlichem Lila. Wir wurden aus der Gesellschaft entlassen und verließen die Burg, um bergab in die Drei Raben zu eilen.
»Ich habe nur eine Bitte«, sagte Matthew, sobald wir durch die Haustür waren. »Ich bin vielleicht ein Vampir, aber in Prag kann es im April noch empfindlich kalt werden. In Anbetracht der Temperaturen sollten sich die Kostüme, die du für Diana und Endymion entwirfst, nicht auf eine Mondsichel für dein Haar und ein Tischtuch für meine Hüften beschränken.«
»Ich habe dich gerade erst für diese Rolle gecastet, und schon mischst du dich in die künstlerische Gestaltung ein!« Ich wedelte in gespielter Entrüstung mit der Hand. »Schauspieler!«
»Damit musst du rechnen, wenn du mit Amateuren arbeitest«, erwiderte Matthew lächelnd. »Und ich weiß auch schon, wie das Maskenspiel beginnen sollte: Und sieh! Aus offnen Wolken sah ich steigen/den schönsten Mond, der silbern je umzog/Die Muscheln für Neptuns Gefäß; er flog …«
»Du kannst unmöglich Keats zitieren!«, fiel ich ihm ins Wort. »Der war Romantiker – damit bist du dreihundert Jahre zu früh dran!«
» So fiebernd hell, dass meine blinde Seele/Verströmt in seiner Silbersphären Helle/Durch Dunst und Klarheit trieb noch, als er schwand/Zuletzt in einem schwadendunklen Band«, deklamierte er theatralisch und zog mich in seine Arme.
»Du willst den Endymion geben?«, mischte sich Gallowglass ein, der eben die Treppe heruntergepoltert kam. »Und ich nehme an, ich darf dir jetzt die Hirtenflöte besorgen.«
»Und dazu ein paar Schafe. Oder vielleicht ein Astrolabium. Endymion kann Hirte oder Astronom sein.« Matthew wog bereits die Alternativen ab.
»Rudolfs Wildhüter wird dir keinesfalls eines seiner merkwürdigen Schafe überlassen«, sagte Gallowglass säuerlich.
»Matthew kann gern mein Kompendium haben.« Ich sah mich um. Eigentlich sollte es auf dem Kaminsims liegen, wo Jack nicht hinkam. »Wo ist es denn hin?«
»Annie und Jack zeigen es Mopp. Sie glauben, es ist verhext.«
Bis dahin waren
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