Wo die Nacht beginnt
Vogel erst nach den anderen fliegen und hatte es nicht eilig, den Auerhahn einzusammeln, den Šárka erlegt hatte. Alle anderen Männer blieben auf ihren Pferden, nur Matthew stieg ab und lockte das Zwergfalkenweibchen mit leisem Murmeln und einem Stück Fleisch, das er von einem anderen Tier geschnitten hatte, von ihrer Beute weg.
Einmal jedoch kam Šárka nicht an das Auerhuhn heran, das sie verfolgte. Es entwischte ihr im letzten Moment und flog dabei direkt auf Rudolfs Jagdfalken zu. Trotzdem wollte Šárka sich nicht geschlagen geben. Der Jagdfalke war zwar größer, aber Šárka war wendiger und behänder. Auf ihrer Jagd nach dem Auerhuhn flog sie so dicht an meinem Kopf vorbei, dass ich ihren Flügelschlag spürte. Sie war ein so kleines Ding – sogar kleiner als das Auerhuhn und eindeutig keine Gegnerin für den Falken des Kaisers. Das Auerhuhn flatterte höher, entkam ihr aber nicht. Šárka änderte blitzschnell die Flugrichtung, senkte die gekrümmten Klauen in ihre Beute und flatterte unter ihrem Gewicht zu Boden. Der entrüstete Falke schrie frustriert auf, und Rudolf stimmte in seinen Protest ein.
»Euer Vogel hat meinen abgedrängt«, beschwerte sich Rudolf wütend, während Matthew sein Pferd antrieb, um den Zwergfalken einzuholen.
»Sie ist nicht mein Vogel, Eure Majestät«, sagte Matthew. Šárka hatte sich aufgeplustert und die Schwingen ausgebreitet, um so groß und bedrohlich auszusehen wie möglich, und begrüßte ihn mit schrillem Piepsen, als sie ihn kommen sah. Matthew murmelte ihr etwas zu, das in meinen Ohren halb vertraut und recht verliebt klang, und der Vogel legte die Federn wieder an. »Šárka gehört Euch allein. Und heute hat sie bewiesen, dass sie den Namen der großen böhmischen Kriegerin zu Recht trägt.«
Matthew hob den Zwergfalken mitsamt dem Auerhuhn vom Boden auf und hielt ihn hoch, sodass der gesamte Hof ihn sehen konnte. Šárkas Bänder hingen lose herab, und ihre Glöckchen klirrten, als er sie herumzeigte. Die Höflinge wussten nicht, was sie jetzt tun sollten, und warteten Rudolfs Reaktion ab. Schließlich mischte ich mich ein.
»Was hat diese Kriegerin vollbracht, mein Gemahl?«
Matthew hörte auf, sich langsam im Kreis zu drehen, und lächelte mich an. »Großes, mein Weib, Großes. Die wahre Šárka war klein und lebhaft, genau wie der kaiserliche Vogel, und sie wusste, dass die wichtigste Waffe einer Kriegerin zwischen ihren Ohren liegt.« Er tippte sich an den Kopf, um sicherzustellen, dass ihn jeder verstand. Rudolf verstand ihn nicht nur, er sah ihn perplex an.
»Das hört sich fast nach den Frauen aus der Kleinseite an«, meinte ich trocken. »Und wie setzte Šárka ihren Verstand ein?« Ehe Matthew mir antworten konnte, mischte sich eine junge Unbekannte ein.
»Šárka überwältigte allein einen ganzen Trupp von Soldaten«, erklärte sie in flüssigem Latein mit schwerem tschechischem Akzent. Ein weißbärtiger Mann, wahrscheinlich ihr Vater, sah sie wohlwollend an, und sie errötete.
»Wirklich?«, fragte ich interessiert. »Wie denn?«
»Sie tat so, als müsste sie gerettet werden, und lud die Soldaten danach ein, ihre Rettung mit reichlich Wein zu feiern.« Eine andere, ältere Frau, deren Nase Augustas Schnabel Konkurrenz machte, schnaubte verächtlich. »Darauf fällt doch jeder Mann herein.«
Ich lachte laut auf. Zu ihrer eigenen Überraschung musste auch die hakennasige alte Adlige lachen.
»Ich fürchte, mein Kaiser, die Damen werden nicht dulden, dass ihre Heldin für die Fehler anderer büßen muss.« Matthew zog die Haube aus seiner Tasche und setzte sie Šárka auf den stolz erhobenen Kopf. Dann beugte er sich vor und zog mit den Zähnen das Band an. Unter dem wohlwollenden Applaus der Umstehenden nahm ihm der Wildhüter den Zwergfalken ab.
Unser Vesper mit Wein und Erfrischungen nahmen wir, auch wenn ich lieber länger im Garten geblieben wäre, wo die kaiserlichen Tulpen und Narzissen blühten, in einem rot-weißen, italienisch inspirierten Häuschen ein, das am Rande des Burggeländes errichtet worden war. Andere Angehörige des Hofes gesellten sich zu uns, darunter der sauertöpfische Strada, Meister Hoefnagel und der Instrumentenbauer Erasmus Habermel, dem ich für mein Kompendium dankte.
»Jetzt, wo der Lenz bald vorbei ist, bräuchten wir ein Frühlingsfest, um unsere Langeweile zu vertreiben«, verkündete ein junger Höfling laut. »Meint Ihr nicht auch, Majestät?«
»Ein Maskenspiel?« Rudolf nahm einen Schluck Wein
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