Wo die Nacht beginnt
großen Jagdfalken entschieden hatte, rauften sich die österreichischen Erzherzöge und deutschen Prinzen um die anderen Vögel, bis nur noch ein Tier übrig war. Es hockte klein und zitternd in der Kälte. Matthew griff danach.
»Das ist ein Frauenvogel«, bemerkte Rudolf abfällig und ließ sich in seinem Sattel nieder. »Ich habe ihn für La Diosa mitbringen lassen.«
»Trotz ihres Namens jagt Diana nicht gern. Aber das tut nichts zur Sache. Ich werde den Zwergfalken fliegen lassen«, sagte Matthew. Er ließ das Lederband durch seine Finger laufen, streckte die Hand aus, und der Vogel stieg auf seinen Handschuh. »Hallo, meine Schöne«, murmelte er, während der Zwergfalke sich auf seinem Arm niederließ. Bei jedem winzigen Schritt klirrten die Glöckchen an den Füßen des Vogels.
»Sie heißt Šárka«, flüsterte ihm der Falkner lächelnd zu.
»Ist sie so schlau wie ihre Namensgeberin?«, fragte Matthew.
»Schlauer«, antwortete der Alte grinsend.
Matthew beugte sich dem Vogel zu und nahm eines der Lederbänder, die ihre Haube hielten, zwischen die Zähne. Man hätte glauben können, er wollte den Vogel küssen, so nahe kam er Šárka dabei, und so intim wirkte die Geste. Matthew zog mit den Zähnen die Schleife auf und konnte dann problemlos mit der anderen Hand die Haube abnehmen, um das verzierte Ledermützchen in seine Tasche gleiten zu lassen.
Šárka blinzelte, als ihr die Haube von den Augen gezogen wurde. Dann blinzelte sie noch mal und studierte dabei mich und den Mann, auf dessen Arm sie saß.
»Kann ich sie berühren?« Die weichen, braun-weißen Federn zogen mich unwiderstehlich an.
»Das würde ich nicht tun. Sie ist hungrig. Ich glaube nicht, dass sie so viel Beute machen darf, wie ihr zustünde«, sagte Matthew. Wieder wirkte er mitfühlend, fast traurig. Šárka gab ein leises Gurren von sich und sah Matthew weiter an.
»Sie mag dich.« Das war kein Wunder. Beide waren vom Instinkt her Jäger, und beiden hatte man Fesseln angelegt, damit sie ihren Drang zu jagen und zu töten nicht ausleben konnten.
Wir ritten auf einem gewundenen Pfad in den früheren Burggraben. Der Fluss, der die Schlucht einst ausgehöhlt hatte, floss längst nicht mehr, und sie war mittlerweile eingezäunt, damit das kaiserliche Wild nicht durch die Stadt streunen konnte. Rothirsche, Rehe und Wildschweine streiften durch das Gelände. Dazu kamen Löwen und andere Großkatzen aus der kaiserlichen Menagerie, wenn auch nur an jenen Tagen, an denen Rudolf beschloss, seine Beute lieber mit ihnen als mit seinen Falken zur Strecke zu bringen.
Ich rechnete mit einem absoluten Chaos, aber die Jagd war so streng choreographiert wie ein Ballett. Sobald Rudolf seinen Jagdfalken in die Lüfte entlassen hatte, stiegen die auf den Bäumen rastenden Vögel in einer dichten Wolke auf und ergriffen die Flucht, um nicht als Mittagsimbiss zu enden. Der Jagdfalke stieß herab und flog dicht über das Gehölz, wobei der Wind durch die Glöckchen an seinen Füßen pfiff. Erschrocken brachen die Auerhühner aus ihren Verstecken und rannten flügelschlagend in alle Richtungen davon, bevor sie sich in die Luft erhoben. Der Jagdfalke wendete scharf, wählte ein Opfer aus, hetzte es in die richtige Position und schoss dann vor, um ihm die Klauen ins Fleisch zu schlagen. Getroffen trudelte die Auerhenne abwärts, und der Falke setzte ihr gnadenlos bis auf den Boden nach, wo er dem verwirrten und verwundeten Tier den Todesstoß versetzte. Die Wildhüter ließen die Hunde frei und folgten ihnen über das verschneite Gelände. Die Pferde donnerten hinterher, und das Triumphgeschrei der Männer wurde vom Bellen der Hunde übertönt.
Als die Pferde das erlegte Tier erreicht hatten, sahen wir den Falken mit ausgebreiteten Schwingen über seinem Opfer thronen, um die Auerhenne vor rivalisierenden Jägern abzuschirmen. Matthew hatte in der Bodleian Library ganz ähnlich dagestanden, und auch jetzt spürte ich seinen Blick auf mir, als müsste er sich überzeugen, dass ich in seiner Nähe war.
Nachdem der Kaiser die erste Beute zur Strecke gebracht hatte, war die Jagd auch für die anderen Teilnehmer eröffnet. Gemeinsam fingen sie über hundert Vögel, genug für eine große höfische Tischgesellschaft. Nur einmal kam es zu einem Zwischenfall. Natürlich ereignete er sich zwischen Rudolfs majestätischem silbernem Jagdfalken und Matthews braun-weißem Zwergfalken.
Matthew hatte sich etwas vom Rest der Männerrunde abgesondert. Er ließ seinen
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