Wo die Nacht beginnt
Ausgabe des Doctor Faustus geschickt, mit dessen Hilfe wir ins Jahr 1590 gelangt waren. Sie wusste, wohin wir gereist waren.
»Nein«, widersprach Matthew bestimmt. »Sie würden uns bestimmt nicht verraten. Es ist jemand anderer.« Der Blick aus seinen graugrünen Augen war wieder rastlos und melancholisch.
»Du siehst mich an, als hätte ich dich irgendwie hintergangen.« Ich setzte mich neben ihn auf das Bett. »Wenn ich nicht bei dem Maskenspiel mitmachen soll, dann werde ich es nicht tun.«
»Darum geht es nicht.« Matthew stand auf und ging ans andere Ende des Zimmers. »Du hast immer noch Geheimnisse vor mir.«
»Jeder hat Geheimnisse, Matthew«, sagte ich. »Kleinigkeiten, die nicht weiter zählen. Manchmal sind es auch große Dinge, wie … was weiß ich …, ein Mitglied der Kongregation zu sein.« Sein Vorwurf verletzte mich, schließlich hielt er selbst immer noch so vieles vor mir geheim.
Im nächsten Moment lagen Matthews Hände auf meinen Armen und zogen mich hoch. »Das wirst du mir nie verzeihen.« Sein Blick verdunkelte sich, und seine Finger bohrten sich in meine Arme.
»Du hast mir versprochen, dass du meine Geheimnisse tolerieren würdest«, sagte ich laut. »Rabbi Löw hat recht. Toleranz allein genügt nicht.«
Fluchend ließ Matthew mich los. Ich hörte Gallowglass auf der Treppe und Jacks schläfriges Gemurmel am anderen Ende des Flurs.
»Ich nehme Jack und Annie mit in Baldwins Haus«, erklärte Gallowglass von der Tür aus. »Tereza und Karolína sind schon weg. Pierre kommt ebenfalls mit und der Hund auch.« Er senkte die Stimme. »Ihr jagt dem Jungen Angst ein, wenn ihr so streitet, und er hat in seinem kurzen Leben wahrlich genug Angst ausstehen müssen. Macht endlich reinen Tisch, sonst fahre ich mit den beiden Kindern nach London zurück und lasse euch hier, bis ihr euch geeinigt habt.« Gallowglass’ blaue Augen fixierten uns streng.
Matthew setzte sich schweigend an den Kamin und starrte, einen Weinkelch in der Hand, mit düsterer Miene in die Flammen. Sobald die anderen gegangen waren, sprang er auf und eilte zur Tür.
Ohne zu überlegen oder zu zögern, ließ ich meine Feuerdrachin frei. Halte ihn auf , befahl ich ihr. Sie flog über ihn hinweg und um ihn herum, überzog ihn dabei mit einem grauen Schleier, nahm dann an der Tür Gestalt an und bohrte zu beiden Seiten die Krallen an ihren Flügeln in den Rahmen. Als Matthew ihr zu nahe kam, schoss eine Flammenzunge aus ihrem Maul.
»Du gehst nirgendwohin«, sagte ich. Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht laut zu werden. Matthew konnte mich vielleicht überwältigen, aber ich glaubte nicht, dass er es mit meinem Schutzgeist aufnehmen konnte. »Meine Feuerdrachin ist ein bisschen wie Šárka: klein, aber gemein. Ich würde mich nicht mit ihr anlegen.«
Matthew drehte sich mit kaltem Blick zu mir um.
»Wenn du wütend auf mich bist, dann sprich es aus. Wenn ich etwas getan habe, das dir nicht gefällt, dann sag mir, was es war. Wenn du diese Ehe beenden willst, dann bring den Mut auf, einen klaren Schnitt zu setzen, damit ich mich vielleicht – vielleicht – davon erholen kann. Denn wenn du mich weiterhin so ansiehst, als wünschtest du dir, du wärst nicht verheiratet, wirst du mich damit vernichten.«
»Ich will diese Ehe bestimmt nicht beenden«, erklärte er gepresst.
»Dann benimm dich wie ein Ehemann.« Ich trat auf ihn zu. »Weißt du, was ich mir dachte, als ich heute diese wunderbaren Vögel fliegen sah? ›So würde Matthew auch aussehen, wenn er endlich er selbst sein dürfte.‹ Und als du dann Šárka die Haube aufgesetzt und ihr die Sicht genommen hast, damit sie nicht mehr jagen kann, so wie es ihr der Instinkt befiehlt, da sah ich in ihr die gleiche Trauer, die ich Tag für Tag in deinen Augen sehe, seit ich das Kind verloren habe.«
»Hier geht es nicht um das Kind.« Ich sah die Warnung in seinem Blick.
»Nein. Sondern um mich. Und dich. Und darum, dass du trotz deiner Macht über Leben und Tod nicht alles kontrollieren kannst und dass du mich genauso wenig vor allem Leid beschützen kannst wie jeden anderen, den du liebst.«
»Und du glaubst, das wurde mir wieder bewusst, als du das Kind verloren hast?«
»Was könnte es sonst ausgelöst haben? Nach Blancas und Lucas’ Tod haben dich deine Schuldgefühle fast das Leben gekostet.«
»Du täuschst dich.« Matthews Hände lagen in meinem Haar, lösten die festgesteckten Zöpfe und setzten damit den Kamillen- und Minzeduft
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