Wo die Nacht beginnt
meinte, dass wir am ehesten in London einen geeigneten Lehrer finden würden, aber Walter wandte ein, dass man mich in der übervölkerten Stadt unmöglich vor abergläubischen Nachbarn würde verstecken können. George rätselte, ob die Gelehrten in Oxford, die zumindest eine umfassende Bildung genossen hatten, eventuell überredet werden könnten, ihr Expertenwissen zur Verfügung zu stellen. Nachdem Tom und Matthew gnadenlos die Stärken und Schwächen der dort ansässigen Naturphilosophen analysiert hatten, wurde auch diese Idee verworfen. Kit hielt es für töricht, eine Frau mit einer so wichtigen Aufgabe zu betrauen, und erstellte eine Liste von angesehenen Männern aus der Umgebung, die möglicherweise bereit sein würden, ein Programm für mich zu erarbeiten. Darunter fanden sich unter anderem der Pfarrer von St. Mary, der stets wachsam auf apokalyptische Himmelszeichen achtete, ein in der Nähe wohnender Großgrundbesitzer namens Smythson, der sich in Alchemie versuchte und schon nach einer Hexe oder einem Dämon als Hilfskraft gesucht hatte, und ein Student vom Christ Church College, der die Leihgebühren für seine Lehrbücher beglich, indem er Horoskope erstellte.
Matthew legte gegen all diese Vorschläge sein Veto ein und brachte stattdessen Witwe Beaton ins Spiel, die Heilerin und Hebamme von Woodstock. Sie war arm und eine Frau – genau die Art von Kreatur, die von der gesamten Schule der Nacht aufs Tiefste verachtet wurde –, aber genau das, brachte Matthew vor, würde sicherstellen, dass sie mit mir zusammenarbeitete. Außerdem war Witwe Beaton das einzige Wesen im weiteren Umkreis, dem magische Kräfte nachgesagt wurden. Alle anderen waren längst geflohen, musste Matthew zugeben, weil sie keinesfalls in der Nähe eines Wearh leben wollten.
»Witwe Beaton ins Haus zu holen ist vielleicht keine so gute Idee«, meinte ich später, als wir zu Bett gingen.
»Das hast du schon gesagt«, erwiderte Matthew mit kaum verhohlener Ungeduld. »Aber selbst wenn uns Witwe Beaton nicht helfen kann, kann sie uns bestimmt jemanden empfehlen, der dazu in der Lage ist.«
»Ende des 16. Jahrhunderts würde ich davon abraten, sich allzu offen nach einer Hexe zu erkundigen, Matthew.« Ich hatte vor der versammelten Schule der Nacht nur zaghaft andeuten können, dass es in nicht allzu ferner Zukunft zu Hexenjagden kommen würde, aber Matthew wusste genau, wie viel Angst und Schrecken sie verbreiten würden. Trotzdem fegte er auch diesmal meine Einwände beiseite.
»Die Hexenprozesse von Chelmsford sind nur noch verblasste Erinnerungen, und bis die Hetze in Lancashire beginnt, sind es noch zwanzig Jahre hin. Ich hätte dich nicht hergebracht, wenn in nächster Zeit in England eine Hexenjagd ausbrechen würde.« Matthew blätterte in einigen Briefen, die Pierre ihm auf den Tisch gelegt hatte.
»So wie du argumentierst, kannst du froh sein, dass du Naturwissenschaftler und kein Historiker bist«, erwiderte ich gereizt. »Chelmsford und Lancashire waren nur extreme Ausformungen eines weit verbreiteten Unbehagens.«
»Du meinst also, die zukünftigen Historiker verstehen mehr von den Stimmungen der frühen Neuzeit als jemand, der darin gelebt hat?« Matthews Braue zuckte in offener Skepsis.
»Ja«, erwiderte ich böse. »Allerdings.«
»Als du dir heute Morgen nicht erklären konntest, warum keine Gabeln im Haus sind, hat das noch ganz anders geklungen«, sagte er. Tatsächlich hatte ich zwanzig Minuten alle Schubladen durchwühlt, bis Matthew mir leise zugeflüstert hatte, dass derlei Besteck in England noch nicht üblich sei.
»Du gehörst doch bestimmt nicht zu den Leuten, die glauben, dass Historiker nichts weiter tun, als Daten auswendig zu lernen und sich obskure Fakten einzuprägen«, sagte ich. »Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht zu ergründen, warum sich die Dinge damals ereigneten. Wenn etwas direkt vor deinen Augen passiert, kannst du nur schwer die Ursachen erkennen, im Rückblick ist die Perspektive wesentlich klarer.«
»Dann kannst du ganz ruhig bleiben, denn ich stütze mich auf meine Erfahrung und den Rückblick«, sagte Matthew. »Ich verstehe deine Bedenken, Diana, aber Witwe Beaton ins Haus zu holen ist und bleibt die richtige Entscheidung.« Fall abgeschlossen , konnte ich an seinem Ton ablesen.
»Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts wüten Hungersnöte, und die Menschen haben große Zukunftsängste«, zählte ich an meinen Fingern ab. »Das heißt, dass man nach Sündenböcken sucht,
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