Wo die Nacht beginnt
denen man die Schuld an der miserablen Lage geben kann. Auch wenn deine Männerfreunde sich dessen vielleicht nicht bewusst sind, fürchten menschliche Heilerinnen und Hebammen schon jetzt, man könnte sie als Hexen anklagen.«
»Ich bin der mächtigste Mann in Woodstock.« Matthew legte die Hände auf meine Schultern. »Niemand wird dich anklagen.«
»Ich bin eine Fremde, und Witwe Beaton schuldet mir nichts. Wenn ich neugierige Blicke auf mich ziehe, könnte das auch sie in Gefahr bringen«, gab ich zurück. »Zumindest muss ich in der Lage sein, als edle Elisabethanerin durchzugehen, bevor wir sie um Hilfe bitten. Gib mir noch ein paar Wochen.«
»So lange können wir nicht warten, Diana«, erklärte er brüsk.
»Ich bitte dich nicht um Geduld, damit ich lernen kann, wie man Zierdeckchen bestickt oder Marmelade kocht. Ich habe gute Gründe.« Ich sah ihn verdrossen an. »Lass deine Heilerin nur kommen. Aber wundere dich nicht, wenn die Sache böse endet.«
»Vertrau mir.« Matthew senkte die Lippen auf meine. Sein Blick war verhangen und sein Instinkt, seine Beute zu verfolgen und zu unterwerfen, wieder hellwach. Nicht genug, dass der Renaissance-Ehemann seine Gemahlin an ihren Platz verweisen wollte, der Vampir wollte gleichzeitig die Hexe unterwerfen.
»Ich finde Streit überhaupt nicht erregend«, erklärte ich und drehte den Kopf weg. Matthew empfand das spürbar anders. Ich wich ein paar Zentimeter zurück.
»Ich streite nicht mit dir«, sagte Matthew leise, den Mund dicht an meinem Ohr. »Du streitest. Und wenn du glaubst, ich würde dich jemals im Zorn berühren, Weib, dann irrst du dich.« Nachdem er mich mit einem frostigen Vampirblick an den Bettpfosten genagelt hatte, drehte er sich weg und griff nach seiner Hose. »Ich gehe nach unten. Bestimmt ist noch jemand wach und leistet mir Gesellschaft.« Er stakste zur Tür. Dann blieb er stehen, eine Hand auf der Klinke.
»Und wenn du dich wirklich wie eine Frau des elisabethanischen Zeitalters benehmen willst, dann hör auf, mir zu widersprechen«, ergänzte er rau und verschwand.
Am nächsten Tag begutachteten ein Vampir, zwei Dämonen und drei Menschen schweigend und aus ein paar Schritten Abstand meine Aufmachung. Die Glocken von St. Mary hatten gerade die volle Stunde geschlagen, und das schwache Echo hing noch in der Luft. Es duftete nach Quitten, Rosmarin und Lavendel. Ich saß eingezwängt in Unterhemd, Unterröcke, Mieder, Reifröcke und ein eng geschnürtes Korsett auf einem unbequemen Holzhocker.
Mein Leben als berufstätige Wissenschaftlerin des 21. Jahrhunderts rückte mit jedem mühsamen Atemzug in weitere Ferne. Ich starrte in das fahle Licht hinter den Bleiglasfenstern, gegen die der Regen schlug.
»Elle est ici«, verkündete Pierre und sah dabei kurz in meine Richtung. »Die Hexe ist hier, um Madamezu sehen.«
»Endlich«, sagte Matthew. Durch das straff geschnittene Wams wirkte er noch breitschultriger, während die schwarzen, gestickten Ahorn- und Eichenblätter am Rand seines weißen Kragens die Blässe seiner Haut unterstrichen. Er legte den dunkelhaarigen Kopf schief, um sich noch einmal aus anderer Perspektive zu überzeugen, dass ich als respektable elisabethanische Ehefrau durchgehen würde.
»Und?«, fragte er energisch. »Wird es gehen?«
George senkte seine Brille. »Ja. Das Rotbraun dieses Kleides schmeichelt ihr und verleiht ihrem Haar einen angenehmen Farbton.«
»Mistress Roydon sieht aus wie eine Frau von Stand, George, das stimmt. Aber wir können ihre ungewöhnliche Sprechweise nicht damit erklären, dass wir behaupten, sie k-k-käme vom Lande«, wandte Henry in seinem tonlosen Bass ein. Er trat vor und zupfte die Falten meines Brokatrockes zurecht. »Und ihre Größe. Die können wir unmöglich verbergen. Sie ist noch größer als die Königin.«
»Seid Ihr sicher, dass wir sie nicht als Französin oder Holländerin ausgeben können, Walt?« Tom hielt mit tintenfleckigen Fingern eine mit Nelken besteckte Orange an seine Nase. »Vielleicht könnte Mistress Roydon doch in London überleben. Natürlich würde jeder Dämon sie bemerken, aber vielleicht würde der gemeine Mann sie keines zweiten Blickes würdigen.«
Walter schnaubte fröhlich und erhob sich von einem niedrigen Schemel. »Mistress Roydon ist nicht nur ungewöhnlich groß, sondern auch von höchst angenehmer Gestalt. Jeder gewöhnliche Mann zwischen dreizehn und sechzig würde sie ausgiebig in Augenschein nehmen. Nein, Tom, sie sollte besser hier
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